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Autor: Tim Gräsing (Kommunikationsberater und Craft Beer Experte)
- 28.02.2018 -

„Ich hätte gern ein Bier.“ Geht es nach Brauern, Gastronomen, Händlern und Bierbegeisterten, die sich in den vergangenen Jahren dem Craft Beer Trend in Deutschland verschrieben haben, gehört dieser Satz bald der Vergangenheit an.

Es ist ein Standardsatz, den man von zahlreichen Situationen kennt und sicherlich schon oft selbst gesagt hat – im Restaurant, bei Freunden, bei Events. Es ist vor allem ein Satz, der als Synonym zu verstehen ist: Ein Synonym für fehlende Kreativität und Vielfalt.

Deutschland, das Land des guten Bieres. Ein Kulturgut mit langer Tradition und größten Qualitätsmaßstäben. Ein Land, das lange Zeit für ein umfassendes Portfolio an Bierstilen bekannt war. Mit tausenden Brauereien, deren unzählige Sorten stets ein eigenes Profil aufwiesen und auf den Faktor Regionalität bauten. Doch über die Jahrzehnte, als Bier immer mehr zum Geschäft wurde und auch ausländische Brauereien in den Markt drängten, glichen sich deutsche Biere immer mehr einander an. Das Pils wurde zur beliebtesten Sorte, weil es sich am meisten verkaufte und dank der hohen Nachfrage ein sicheres Geschäft garantierte. Im Laufe der Zeit etablierten sich Begrifflichkeiten wie „Einheitsbiere“ oder „Fernsehbiere“, letztere geprägt durch die millionenschweren Fernsehwerbungen großer international tätiger Brauereien.

Eine ähnliche Entwicklung, wenn auch historisch anders motiviert, fand parallel in den USA statt. Die Menschen dort hatten einfach verlernt, wie gutes Bier schmeckt. Der Markt wurde von einer Handvoll Großbrauereien – mächtigen Konzernen – dominiert. Lightbeer gab die Richtung vor. Doch die Amerikaner reisten nun öfter nach Europa und entdeckten, dass Bier eben nicht wie Wasser schmecken muss. Ende der 1970er Jahre wurde das „Homebrewing“ offiziell per Gesetz erlaubt. Fortan experimentierten viele Amerikaner in ihren Kellern mit selbst gebauten Mini-Brauanlagen und holten sich ihren Biergeschmack zurück. Diese Bewegung war so stark, dass bereits Mitte der 80er Jahre die ersten kommerziellen Projekte gestartet wurden und Craft Beer Brauereien entstanden. Noch heute sind es genau diese Brauereien der ersten Stunde, die für höchste Qualität stehen und mittlerweile Ausstoßmengen erreichen, die den deutschen Branchenprimus (Krombacher) um einige Millionen Hektoliter überragen – zu nennen sind hier vor allem Sierra Nevada um Visionär Ken Grossmann, die Samuel Adams Brewing Company mit ihrem Gründer Jim Koch und die Brooklyn Brewery mit der Koryphäe Garrett Oliver. Ein kontinuierlicher Prozess von Brauereineugründungen setzte ein, in dessen Folge ein florierender Biermarkt die amerikanischen Kehlen zu begeistern wusste (Dreisbach, J.; 2016). Was die Rezepte traditioneller und in Vergessenheit geratener Bierstile betraf, diente das europäische Portfolio als Vorbild. Dortmunder Export, Berliner Weisse, Rauchbier. Sie alle fanden den Eingang in die nordamerikanischen Sortimente und erfreuen sich bis heute ungebrochen höchster Beliebtheit.

Wie mit so einigen US-Trends blieb auch diese Bewegung in Europa nicht unerkannt. Aber es dauerte ein paar Jahre, in Bezug auf Deutschland sogar ein paar Jahrzehnte, bis sich auch hierzulande die ersten „movement follower“ trauten, den Schritt in Richtung Craft Beer zu machen. Die Gründe dafür, warum so viele Jahre verstrichen, sind nicht sonderlich schwer zu identifizieren.

1. Qualität

Deutschland hat beim Blick auf Qualität und Geschmack des Bieres keine Probleme. Vor allem die „Hauptsorten“ wie Pils und Weizen erfreuen sich auch im Ausland großer Beliebtheit. Es handelt sich eben nicht um „Lightbeer“, das vorrangig nur nach Wasser schmeckt – Aromen-Profile sind klar erkennbar. Nur weiß der gemeine Biertrinker mittlerweile überhaupt nicht mehr, dass es über 150 Bierstile gibt, von denen sehr viele ihren Ursprung auf deutschem Boden haben. Es gibt also noch viel (wieder) zu entdecken.

2. Biermarkt

Der deutsche Biermarkt ist hart umkämpft aufgrund der Brauereidichte. Verhältnisse wie in anderen Bierländern, in denen der Marktführer Anteile jenseits der 50 Prozent aufweist, sind hier nicht mal ansatzweise zu finden. Die Marktführer hier müssen mit einstelligen Prozentzahlen auskommen. Man kann es sich also nicht leisten, am Portfolio zu experimentieren, wenn man dadurch riskiert, die gut laufenden (Standard)Sorten in geringerer Menge zu produzieren.

3. Gastronomie und Handel

In den USA gibt es Gesetzmäßigkeiten, die direkte Verbindungen zwischen Brauereien, Handel und der Gastronomie untersagen. Es können also keine Abhängigkeiten hergestellt werden, sodass es jedem Brauer frei ist, sein Bier in beliebigen Restaurants und Supermärkten (zumindest innerhalb der Grenzen seines Bundesstaates) anzubieten. In Deutschland dagegen bestehen diese Abhängigkeiten sehr wohl. Teilweise arbeiten die Großbrauereien mit Exklusivverträgen und „sichern“ sich Gastronomieobjekte für lange Zeiträume, manchmal sind diese Objekte sogar im Besitz der Brauereien. Hinzu kommen Werbekostenzuschüsse und Weitervergütungen, mit denen Finanzierungen angeboten werden. Dem Gastronomen ist es also gar nicht möglich, Biervielfalt an den Hahn zu bringen – hat er sich erstmal auf eine Brauerei und deren Geschäftsgebaren eingelassen. Ähnlich verhält es sich im Handel, da deutsche Brauereien keinen Direktvertrieb betreiben – was unter anderem auch am komplizierten Pfandmarkt liegt. Große sogenannte Getränkefachgroßhändler (GFGH) bilden die Rampe für die Brauereien und versorgen Supermärkte und Co. mit den Waren. Auch hier fließt im Hintergrund wieder ordentlich Geld, denn jedes Mitglied innerhalb der Kette will und muss Geld verdienen. Der Konsument zahlt dadurch letztlich im Handel drauf. Kleine Brauereien haben kaum die Chance, Mitglied dieser kompliziert strukturierten Ketten zu werden und so Eingang in den Handel zu finden. Ihnen bleibt oft nur der Direktverkauf am Produktionsort oder der Weitervertrieb im kleinen Maße innerhalb bestehender Netzwerke.

Eine festgeschriebene Definition, was denn nun eigentlich Craft Beer ist und welche Brauerei ihre Produkte als solche bezeichnen kann, gibt es in Deutschland nicht. Die Szene hat sich in den vergangenen Jahren ein paar eigene Rahmenbedingungen erschaffen: Bierqualität, Einsatz und Herkunft der Rohstoffe, Community-Gedanke, Transparenz innerhalb der Unternehmensstrukturen, Authentizität in Bezug auf die Gesichter hinter dem Produkt (Wesseloh, O.; 2015). Während der deutsche Pro-Kopf-Bierkonsum in den letzten zehn Jahren stetig gefallen ist und weiterhin fallen wird, kann Craft Beer einen interessanten Gegenpol darstellen – vor allem auch aus wirtschaftlicher Sicht (Konsum & FMCG; 2016). Denn die Bereitschaft, für den Liter Bier mehr Geld zu zahlen als bisher, nimmt kontinuierlich und folgt damit dem allgemeinen Trend, Lebensmittel wieder mehr wertzuschätzen (Bundeszentrum für Ernährung – „to go ist Trend“; 2017).

Craft Beer bietet also Chancen und enorme Potenziale in vielfältigen Bereichen und ist damit schon jetzt mehr als nur ein Trend. Die Vielfalt des Bieres wird in Zukunft im Fokus stehen, so viel ist sicher.

 

Dies war ein Blog aus der Reihe "Big Business" - lesen Sie weitere Blogs aus dieser Reihe, wie z.B.: David vs. Goliath | Die Gastronomie ändert sich massiv!

  • Literaturangaben
    • Bundeszentrum für Ernährung – „to go ist Trend“ (2017). Hier online verfügbar, zuletzt überprüft 25. November 2017.
    • Dreisbach, J. (2016). Craft-Bier: Geschichte, Herstellung, Brauereien. Köln: Comet.
    • Konsum & FMCG (2016). Statista. Hier online verfügbar, zuletzt überprüft 18. Oktober 2017.
    • Wesseloh, O. (2015). Bierleben. Berlin: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
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