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Autor: Matthias Achim Teichert (Partner #FORTSCHRITT)
 - 27.01.2017 -

Mit der zunehmenden Umstellung von Verbrennungs-  auf Elektroantrieb bei Fahrzeugen wird sich die Mobilität grundlegend verändern. Die Energie-Provider für die Verbrennungsmotoren sind heute die Tankstellen, die diese Funktion bei den Elektroantrieben nicht in gleicher Form einnehmen können. Die benötigte Zeit zum Aufladen ist zu lang, und für den regelmäßigen Wechsel der Akkus sind ein Industriestandard, sowie hohe zusätzliche Investitionskosten und spezielle Finanzierungsmodelle von Nöten.

Ob die Möglichkeit des Akku-Wechsels ausreichend Usability, Komfort als auch Akzeptanz beim Kunden hätte, ist fraglich - und eine gewisse Skepsis berechtigt. Aus dem Verlust der Energie-Provider Funktion entspringen perspektivisch für die Tankstellen sehr große Herausforderungen, die die Branche maßgeblich verändern werden.

Wirtschaftliche Lage

Die ca. 14.000 Tankstellen in Deutschland haben ca. 23 Mrd. € Jahresumsatz gesamt, im Durchschnitt pro Tankstelle 1,5 Mio. €. Die Konzerne wie Shell oder Aral setzen auf Lage und Größe der Einheiten, sodass diese deutlich mehr Umsatz je Tankstelle haben als freie Tankstellen. Der Mittelstand und die freien Tankstellen setzen erfolgreich auf Diversifikation, sodass sich beide Gruppen in den letzten Jahren erfolgreich entwickelt haben. Auf die Transformation hin zu der Elektromobilität sind alle Tankstellen jedoch schlecht vorbereitet. Ob sie deshalb ein Kandidat für staatliche Rettung via Subventionen sein werden, ist eher unwahrscheinlich. Denn der Kraftstoffverkauf für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor darf für das Geschäftsmodell Tankstelle nicht überbewertet werden. Bei Betrachtung der Umsatz- als auch Margenstruktur von Tankstellen wird schnell klar, dass Kraftstoff mehr die Funktion eines Lockvogels hat, denn als Profit-Center.

Wandel der Erlösquellen

Bei der aktuellen Erlösstruktur von Tankstellen erbringt der Verkauf von Waren aus dem (meist angeschlossenen) Tankstellenshop etwa 80% des Umsatzes. Der Rest entfällt auf die „traditionellen“ Geschäftsfelder von Tankstellen wie Kraftstoff, Werkstatt und Waschanlage. Seit Jahren ist in Deutschland der Absatz von Kraftstoff in Liter stagnierend, zudem bei geringer Marge. Die Aufwände für Infrastruktur, Logistik, Sicherheit und Kapitalbindung in der Warenwirtschaft sind hoch und wurden über die Jahre kontinuierlich optimiert. Dennoch ist der Kraftstoff heute noch wichtig für die Tankstellen, weniger für die Marge, aber als Lockvogel für den Besuch des Shops und die Notwendigkeit einer 24/7 Vertriebsberechtigung. Bei der Reparatur von Fahrzeugen hingegen sind die Tankstellen schon lange an den Rand gedrängt worden. Die zunehmende Elektronik und Komplexität der Fahrzeuge erschwert es Tankstellen, Personal und Equipment den notwendigen technischen Standards entsprechend kontinuierlich zu halten. Mit der Elektromobilität wird sich dieser Trend der Reduktion beschleunigen, da weniger Verschleißteile in den Fahrzeugen existieren und die Technik noch mehr Spezialwerkzeug benötigt. Das Waschen macht aktuell ca. 5% des Umsatzes aus. Jedoch sinken diese Umsätze seit Jahren, da Fahrzeuge seltener gewaschen werden und spezialisierte Wasch-Center den Tankstellen hier Umsatzvolumen entziehen.

Neue Zielgruppe - neue Angebote

Bei tieferer Betrachtung der Perspektive von Tankstellen wird deutlich, dass die Elektromobilität nicht die größte Herausforderung ist. Es ist vielmehr der Wandel in der Bevölkerung zu weniger Tabak- und Alkoholkonsum, die Zunahme an Lieferdiensten und eine älter werdende Käuferschicht.  Wenn 70% des Shop-Umsatzes durch Tabakwaren und Alkohol generiert werden, sind gesellschaftliche Trends wie die steigende Anzahl an Nichtrauchern und eine allgemein fitnessorientiertere Jugend klare Bedrohungen. Die Lieferdienste entziehen den Tankstellen besonders abends und nachts etliche Volumina, denn die Kunden müssen nur auf den Boten warten und sich nicht aktiv zur Tankstelle bewegen. Aktuell sind die meisten Kunden von Tankstellen keine Digital Natives, sondern Laufkundschaft, die mit dem eigenen Fahrzeug vorbeifahren. Mit ihrer hohen Preisflexibilität und Zeitsensibilität nutzen die Kunden der Tankstellen-Shops besonders den Komfort der zügigen Kaufabwicklung. Diese Kunden werden jedoch älter und kontinuierlich weniger, sodass Tankstellen perspektivisch neue Kunden- und Käuferschichten erreichen müssen. Denn die vorbeifahrende Laufkundschaft wird sich mit dem sinkenden Kraftstoffverbrauch (ca. 50% von heute bis 2040) ebenfalls deutlich verringern. Die Insassen von Elektrofahrzeugen müssen Tankstellen als attraktive Option für Pausen empfinden, damit Tankstellen dieses Tätigkeitsfeld auch zukünftig übernehmen können. Ein weiterer Punkt, der das Marktumfeld nachhaltig verändern kann, wäre die politische Einflussnahme auf die Öffnungszeiten und das Produktportfolio von Tankstellen. Zum Beispiel dürfen seit 2009 in Baden-Württemberg ab 22:00 keine alkoholhaltigen Getränke mehr verkauft werden. Diese Reglung hatte beträchtliche Auswirkungen auf die Umsätze und zeigte auf, dass die 24/7 Lizenz nicht in Stein gemeißelt ist. Sicherlich sind auch weitreichende Regelungen bzw. Reduktionen der Freiräume von Tankstellen in Zukunft möglich, was schnelle Anpassungsmaßnahmen von Seiten der Tankstellen erforderlich machen wird. Die baden-württembergische Regelung ist mit dem Regierungswechsel 2016 zum Glück für die Tankstellen stark gelockert worden.

Ausblick

Die Zukunft bringt für die Tankstellen jedoch gleichzeitig auch große Chancen! Bei der Betrachtung der USP von Tankstellen sind besonders die Lage, viel Laufkundschaft, 24/7 Verkaufsoption und die Fähigkeit, erfolgreich After Sales umzusetzen von Vorteil. Die exzellente Lage und Infrastruktur der Tankstellen werden die Betreiber für weitere Dienstleistungsangebote nutzen. Zum Beispiel betreibt Shell bei seinen Stationen eine Packstation von DHL/Deutschen Post, andere Tankstellen sind Abholstationen von Mietwagen. Die Abhohl- oder Packstationen erzeugen Laufkundschaft, die auch die Umsätze im Shop steigen lässt. Die Zentralität und Laufkundschaft macht die Tankstellen für einige Partner attraktiv, denn mit der 24/7 Lizenz sind sie für die unterschiedlichsten Leistungen ein guter Point of Sales mit einer Shop-in-Shop-Umsetzung. Aus diesem Grund haben bereits heute viele Tankstellen ihre Stationen von einem Kiosk zu kleinen Supermärkte und Restaurants ausgebaut. Des Weiteren können sich auch in anderen Branchen die regulatorischen Rahmenbedingungen verändern, die den Tankstellen mit ihren USP zugutekommen, wie zum Beispiel eine zeitliche Auslieferungsbegrenzung der Lieferdienste in den Innenstädten. Nur wenn die Tankstellen den Wandel aktiv mitgestalten, haben Sie eine Chance zu bestehen. Wie ein Kaninchen vor der Schlange dem Ende des Verbrennungsmotors zuzusehen, ist definitiv der falsche Weg.

 

Dies war ein Blog aus der Reihe "Markt Trends" - lesen Sie weitere Blogs aus dieser Reihe, wie z.B.: Gigaliner – Heilsbringer der Logistik?

Autor

Matthias Achim Teichert

Co-Founder und Geschäftsführer der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT.

Matthias Achim Teichert ist Co-Founder und Geschäftsführer der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT. Er ist Experte für Company Building und Start-up-Strategien. In diesem Zusammenhang liegen seine Schwerpunkte auf der erfolgreichen Skalierung von Geschäftsmodellen, Go-to-Market-Strategien sowie Marktanalysen. Des Weiteren ist er als Dozent an der WWU Münster für Polit-Ökonomie tätig.

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