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Autor: Dr. Markus Oliver Heidak (Partner Middle East & Asia #FORTSCHRITT)
- 02.08.2019 -

„Mehr Digitalisierung wagen“ war das Motto der diesjährigen BAUMA 2019 in München. Wenn man sich die Arbeit auf einer Baustelle vorstellt, dann denkt man nicht zwangsläufig an digitale Prozesse. Für viele ist das Baugewerbe immer noch eine rein analoge Branche, bei der man wenig von der digitalen Transformation spürt. Wir haben uns mit Unternehmen auf der weltweit führenden Messe für Baumaschinen, Bergbaumaschinen, Baufahrzeuge und Baugeräte ausgetauscht und über deren aktuelle Digitalisierungsstrategien informiert.

Internet der Dinge, künstliche Intelligenz und additive Fertigung – die technologische Transformation ist im vollen Gange und revolutioniert die Industrie. Das Bundeswirtschaftsministerium erwartet allein durch die Industrie 4.0 ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 153 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 (BMWI, 2019). Fokussiert man sich hierbei rein auf die Bauindustrie und deren Drang zur digitalen Transformation, dann wird einem klar, dass das Baugewerbe für außenstehende als „Ziegel & Mörtel Geschäft“ gilt (Moring et al., 2018). Durch seinen analogen und materiellen Charakter wird angenommen, dass dieses Gewerbe von den Auswirkungen der Digitalisierung nicht betroffen sei.

Allerdings ist diese Annahme nicht korrekt. Besonders in den Bereichen der Bauplanung, Vorbereitung, Logistik, Bauprozesse und des Managements von Kundenbeziehungen wird die Notwendigkeit der digitalen Transformation am deutlichsten (Moring et al., 2018). Hier bieten digitale Lösungen zahlreiche Möglichkeiten, die Produktivität und Umsätze durch Prozess- und Geschäftsmodelloptimierung zu steigern.

Der Drang zur digitalen Transformation

Laut der Studie Digitalisierungsindex Mittelstand aus dem Jahr 2017, für die rund 2.000 mittelständische Unternehmen befragt wurden, gehört das Baugewerbe im Hinblick auf den Digitalisierungsgrad zu den Schlusslichtern (Digitalisierungsindex Mittelstand, 2017). Als einer der Gründe für diese Entwicklung gilt der seit Jahren anhaltende Bauboom. Die Notwendigkeit zur Optimierung von Bauprozessen wird durch die gute Auftragslage in den Hintergrund gedrängt. Viele Bauunternehmen haben sogar Schwierigkeiten, ihre Aufträge abzuarbeiten (Forum Handwerk, 2018). Wer hierfür einzig den Fachkräftemangel verantwortlich macht, liegt allerdings falsch. Vor allem bei der Prozessoptimierung könnte die Digitalisierung deutlich zur Verbesserung und Beschleunigung der Auftragsabarbeitung beitragen.

„Mehr Digitalisierung wagen“ – BAUMA 2019

Ein wichtiger Sektor des Baugewerbes, der die Vorzüge der digitalen Vernetzung bereits verinnerlicht hat, ist die deutsche und internationale Baumaschinenindustrie. Diese hat im Gegensatz zur restlichen Branche in der Digitalisierung eine Vorreiterrolle eingenommen. Wer hautnah und konzentriert erleben will, wie Marktführer/Maschinenhersteller, Nischenanbieter, Verbände und Forschungseinrichtungen der Baumaschinenbranche die digitale Transformation für sich interpretieren und umsetzen, der kommt um einen Besuch auf der wichtigsten Branchenmesse nicht umhin (Ziegler, 2019).

„Mehr Digitalisierung wagen“ war das Motto, das Geschäftsführer Klaus Dittrich für die BAUMA 2019 ausgegeben hat. Wir sind seinem Ruf gefolgt und haben uns mit führenden Produzenten über deren Digitalisierungsstrategien ausgetauscht und über die technischen Fortschritte informiert.
Befragt man die Aussteller, was ihr Unternehmen bei der digitalen Transformation vorantreibt, dann bekommt man vor allem zwei Schlagworte zu hören: Kosten- und Termindruck.

Betrachtet man die nationalen und internationalen Aussteller- und Besucherzahlen der BAUMA 2019, dann wird einem nicht nur die internationale Außenwirkung der Messe klar, sondern auch die Tatsache, dass es der deutschen Baumaschinenherstellung deutlich besser geht als manch anderem produzierenden Gewerbe (siehe Grafik 1).

FORTSCHRITT Bauma Fakten
Grafik 1: „Zahlen und Fakten über die wichtigste Branchenmesse“ (BAUMA, 2019).

Volle Fahrt voraus – Branchenzahlen

Von Umsatzrückgängen ist auf der BAUMA während unserer Gespräche nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil, die Hersteller schauen erwartungsvoll in Richtung Zukunft und präsentieren stolz ihre neuesten Produkte. Die von uns wahrgenommenen Erwartungshaltungen passen sehr gut zu den veröffentlichten Wachstumszahlen der VDMA- Fachgruppe Baumaschinen (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau).

Bei den präsentierten Umsatzzahlen sind Sorgenfalten nicht erkennbar (siehe Grafik 2). In den letzten Jahren hat der Baumboom für ordentliche Umsatzzahlen gesorgt. Laut Joachim Strobel, Geschäftsführer der Liebherr-EMtec GmbH und Vorsitzender der Fachgruppe Baumaschinen im VDMA, wird der Boom auch bis Mitte 2019 hineintragen (Schnieder, 2018). VDMA-Experten prognostizieren zwar nach der BAUMA 2019 einen leichten Abschwung, allerdings soll der deutsche Markt mit moderaten Rückgängen auf einem sehr hohen Niveau bleiben (Schnieder, 2018).

FORTSCHRITT Baumaschinen Umsätze
Grafik 2: Umsatz der Baumaschinenhersteller am Produktionsstandort Deutschland (VDMA Fachgruppe Baumaschinen, 2018)

Vorreiter in der vernetzten Produktion

Der digitale Wandel schreitet mit großen Schritten voran. Beim Austausch mit den Produzenten wurde klar, dass die aktuellen Unternehmensstrategien ohne Begriffe wie autonomes Fahren, Building Information Modeling (BIM), künstliche Intelligenz (KI), Internet der Dinge (IoT), intelligente Materialien (4D), erweiterte (augmented reality – AR) und virtuelle Realität (virtual reality – VR) nicht mehr auskommen. Auf der BAUMA wurden uns zahlreiche Beispiele vernetzter Maschinen und deren dazugehörigen Applikationen präsentiert (siehe Abbildung 1).

FORTSCHRITT Robowalze
Abb. 1: Autonom fahrende High-Tech Walze des Herstellers Bomag (M. Heidak, BAUMA 2019)

Im folgenden Abschnitt wollen wir die fünf gängigsten Begriffe digitaler Unternehmensstrategien kurz erklären – die zudem nicht nur bei Baumaschinenherstellern gültig sind:

  • Autonomes Fahren
    Autonomes Fahren bedeutet das selbständige, zielgerichtete Fahren eines Fahrzeugs im realen Einsatz, ohne Eingriff des Fahrers (Daimler, 2019).

  • Building Information Modeling (BIM)
    Mit Building Information Modeling (BIM) wird der gesamte Produktionsprozess des Projekts (Bsp. Straßenbau) − vom Bestand über die Planung bis hin zum fertigen Produkt − digitalisiert, alle Einzelsysteme miteinander vernetzt und somit ein durchgängiger BIM-Prozess umgesetzt. Die Nutzer können mit smarten Endgeräten den gesamten Prozess von der Materialproduktion über den Transport bis zur Verarbeitung durch einzelne Baumaschinen überwachen und falls erforderlich nachsteuern (Universität Hohenheim, 2017).

  • Internet der Dinge (IoT)
    Unter dem Begriff versteht man die zunehmende digitale Vernetzung von sogenannten intelligenten Geräten und Sensoren zum Zweck des laufenden Datenaustausches untereinander (Lender, 2018). Geräte oder Maschinen bekommen eine eindeutige, adressierbare Identität in einem Netzwerk und können so miteinander kommunizieren oder Befehle empfangen und ausführen (Lender, 2018).

  • Künstliche Intelligenz (KI)
    Das gewaltig wachsende Datenvolumen ist die Basis für die Weiterentwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens (Lender, 2018). Die bisher bekannten KI-Anwendungen beziehen sich auf die systematische Auswertung von großen und komplexen Datensätzen. Diese bekommen erst dann einen Anwendungsbezug, wenn man die einzelnen Informationen miteinander in einen Zusammenhang setzt und direkte und indirekte Ursachen und deren Auswirkungen erkennt (Lender, 2018).

  • Virtuelle (virtual reality – VR) und erweiterte (augmented reality – AR) Realität
    Virtual Reality (VR) führt den Menschen mittels computergenerierten 3D-Simulationen in nicht reale Räumlichkeiten und ermöglicht so Nutzern, Gegenstände und Leistungen unabhängig von Ort und Zeit wahrzunehmen (Lender, 2018). Augmented Reality (AR) reichert bestehende Medien und Objekte mit zusätzlichen Informationen an. Zusätzlich zur Virtual Reality bietet AR eine weitere Ebene von Zusatzinformationen, die eingeblendet werden (Lender, 2018). Beispielsweiße lassen sich mittels Virtual-Reality-Handschuh Gegenstände bewegen und greifbar machen.

IT Experten im Blaumann?

Vergleicht man einen modernen Luxussportwagen mit den auf der BAUMA ausgestellten Baggern, Bodenverdichtern oder Planierraupen, dann wird einem klar, dass die neusten Baumaschinen technologisch betrachtet deutlich fortschrittlicher sind. Moderne Baumaschinen sind heutzutage mit vielfältigen vernetzten Sensoren und Kommunikationsschnittstellen ausgestattet, die die gesammelten Informationen in Echtzeit zu den passenden Applikationen und Programmen übertragen.

Die ausgewerteten Daten dienen unter anderem dazu, die Arbeitsleistung, die genaue Lokation sowie den Kraftstoff- und Materialverbrauch zu kontrollieren (Ziegler, 2019). Dadurch lassen sich Energieeffizienz, Sauberkeit sowie Produktivität steigern und den Einfluss menschlicher Fehler auf die Maschine senken. Dank höherer Sensorsensibilität ist es beispielsweise möglich, eine bestimmte Ladung genau mit der dafür notwendigen Energie zu bewegen, anstatt die komplett verfügbare Energie dafür aufzubringen (Simon, 2016). Dies reduziert den Druck auf die bewegten Teile und erhöht die Lebensdauer.

Mit den erfassten und ausgewerteten Daten lassen sich auch vorausschauende Wartungsintervalle vollumfänglich planen, denn die Sensoren ermitteln beispielsweise, welche Teile den größten Verschleiß vorweisen und ausgetauscht werden müssen (Ziegler, 2019). So kann der Betreiber bereits vor dem nächsten Kundendienst alle notwendigen Teile besorgen und die Reparatur- und Wartungszeit und damit den Verdienstausfall reduzieren. Hinzukommt, dass die Betriebskosten noch exakter ermittelt werden können.

Die Industrie versucht durch den Einsatz von digitalen Systemen, die Prozesse und Arbeitsabläufe zunehmend zu automatisieren, um so den Fachkräftemangel zu entschärfen. Laut Produzenten waren früher für viele Arbeitsschritte hochqualifizierte Bediener erforderlich. Heute können zahlreiche Abläufe mit weniger spezialisiertem Personal, weniger Training und geringeren Kosten bewältigt werden, ohne dass es zu Einbußen bei Sicherheit, Genauigkeit oder Leistung kommt.

Beispielsweiße können wiederkehrende Aufgaben, wie das Aufnehmen und Abladen von Ladung gespeichert und erneut abgerufen werden. Sensoren erfassen hierbei nicht nur die Zustände „geöffnet“ oder „geschlossen“, sondern auch wie weit sich der Zielbereich bewegt oder verändert hat. Dies erhöht die Arbeitssicherheit, reduziert den Maschinenverschleiß und steigert die Effizienz.

Digitale Lösungen ermöglichen es auch, ganze Baumaschinenflotten per Telematik zu managen. So schildert Wolfgang Lübberding, Geschäftsstellenleiter des Verbands der Baubranche, Umwelt- und Maschinentechnik (VDBUM e.V.), dass die Baumaschinenführer zum Beispiel ein digitales Geländemodell in den Bordcomputer einspeisen können, um dann allein oder im Verband teilautomatisiert definierte Strecken abzufahren (Ziegler, 2019). Dies steigert die Produktivität, reduziert die Gerätezeiten und sorgt dafür, dass wirklich nur die Bereiche bearbeitet werden, die von der Bauleitung festgelegt wurden.

Wie geht es in Zukunft weiter?

Ein wichtiger Schritt in die digitale Zukunft ist die erleichterte Vernetzung und Kommunikation unter verschiedenen Fabrikaten und Herstellern (Ziegler, 2019). Um dies zu erreichen, müssen sich die Hersteller auf möglichst einheitliche Schnittstellen und Datenaustauschformate einigen.

Herr Lübberding (VDBUM e.V.) berichtet, dass sein Verband mit der Technischen Universität München und Partnerverbänden aus den USA bereits einen weltweiten Standard erarbeitet haben: die ISO Norm 15143-3. Dieser Standard regelt, welche Datensätze von den Baumaschinen den Anwendern für weitere Auswertungen zur Verfügung gestellt werden sollten. Damit wurde die Grundstruktur für weitere Systeme geschaffen und der Weg zur Einführung der Digitalisierung in geordnete Bahnen gelenkt (VDBUM, 2018).

Eine gemeinsame Verständigungsgrundlage ermöglicht es, auch neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, da Daten in Zukunft immer mehr die Position eines finanziellen Wertes einnehmen, so Dr. Darius Soßdorf, Referent für Technik und Normung des Fachverbands Baumaschinen im VDMA.

Persönliches Fazit:

Ein Rundgang über die BAUMA und der direkte Austausch mit den Herstellern haben uns gezeigt, dass die Baumaschinenindustrie ihren Ruf als Vorreiter der digitalen Transformation wirklich verdient hat. Die Vielfalt der heutigen Möglichkeiten scheint kaum begrenzt zu sein und eine Realisierung von Bauprojekten sollte in Zukunft effizienter, schneller und ressourcenschonender vonstattengehen. Allerdings bleibt es fraglich, ob bei dem heutigen Kostendruck modernste Maschinen auch bei kleineren Projekten zum Einsatz kommen werden.

Zudem ist uns aufgefallen, dass die neuen Assistenz- und Überwachungssysteme die Komplexität in der Fahrerkabine erhöhen. Viele Fahrerkabinen erinnern uns eher an ein Spaceshuttle, für dessen Steuerung ausgiebige Trainingskurse und regelmäßige Schulungen nötig sind. Die Strategie, durch die neuen Funktionen den Fachkräftemangel zu entschärfen und Personalkosten zu reduzieren, scheint dadurch nicht ganz aufzugehen.

Für uns liegen die Vorteile der branchenspezifischen Digitalisierung dennoch auf der Hand. Optimierte Prozesse und angepasste oder neu entwickelte Geschäftsmodelle werden auch in Zukunft für ein gesundes Wachstum in der Baumaschinenindustrie sorgen.

Wer sich selbst einmal ein Bild von der Branche machen will, der muss allerdings bis 2022 warten. Denn die BAUMA findet nur alle drei Jahre statt.

Autor
Dr. Markus Oliver Heidak

Manager der Geschäftsmodellabteilung bei #FORTSCHRITT

 

Dr. Markus Oliver Heidak leitet die Geschäftsmodellabteilung der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT, sowie die Außenstelle in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Seine langjährigen Tätigkeiten in den VAE u.a. in den Wirtschaftssektoren Rohstoffe, Finanzen, Umwelt und Mobilität machen ihn zum Fachmann in den Bereichen Geschäftsfeldentwicklung, nachhaltige Geschäftsmodelle, Expansion & Markteintritt sowie in der operativen Umsetzung von Geschäften vor Ort. Außerdem ist er als Dozent an verschiedenen deutschen Hochschulen in den Schwerpunktthemen nachhaltige Geschäftsstrategien, Geschäftsmodellentwicklung sowie agile Arbeitswelt und agiles Projektmanagement tätig.

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