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Autor: Marcus Dodt (Head of Research #FORTSCHRITT)
- 19.01.2021 -

Die Innenstädte sind das Gesicht unserer Städte und für viele Bürgerinnen und Bürger ein zentraler Ort der Begegnung und Identifikation. Dieses Gesicht wird sich allerdings zukünftig stark verändern. Doch wie so oft bietet auch dieser Umbruch zahlreiche Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten, wodurch das Herz unserer Städte in Zukunft vitaler und multifunktionaler genutzt werden kann. Hierbei kommt es insbesondere auf das Zusammenspiel aller beteiligten Akteure an.

Das Jahr 2020 war für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft sehr turbulent und durch viele Höhen und Tiefen bestimmt. Dabei hat die Corona-Pandemie Entwicklungen beschleunigt, die sich teilweise schon seit längerer Zeit abgezeichnet haben und für Phänomene und Situationen gesorgt, die in diesem Ausmaß noch nie dagewesen sind. So haben die geltenden Schutzmaßnahmen sowie die damit verbundenen Einschränkungen beispielsweise das Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger massiv beeinträchtigt und zu erheblichen Verschiebungen geführt.

Profiteure und Leidtragende

Während sich im ersten Lockdown von März bis Juni noch lange Schlangen vor Baumärkten und Möbelhäusern bildeten, profitieren im zweiten Lockdown insbesondere Lieferdienste und der Onlinehandel. Eben jener digitale Vertrieb hat sich in vielen Wirtschaftsbereichen zum neuen Standard entwickelt und mit einem Onlineumsatz von über 80 Milliarden Euro alle bisherigen Wachstumsrekorde (+ 23,4%) in den Schatten gestellt (IFH Köln, 2020). Dagegen sind beim stationären Einzelhandel, insbesondere im Bereich Textilien, Bekleidung, Schuhe und Lederwaren, empfindliche Umsatzeinbußen von - 21,5% zu beklagen (Statistisches Bundesamt, 2021).

Nach jüngsten Meldungen des Handelsverbands Deutschland (HDE, 2021) drückt der anhaltende Lockdown auch im neuen Jahr weiterhin die Verbraucherstimmung. So fällt das HDE-Konsumbarometer bereits den dritten Monat in Folge und liegt aktuell deutlich unter seinem Wert vom Beginn des Vorjahres. Bedingt durch eine pessimistischere Einkommenserwartung und einen spürbaren Anstieg der Kurzarbeitszahlen sieht die überwiegende Mehrheit der Verbraucher von größeren Investitionen ab. Dadurch setzt sich der Negativtrend für den Konsum weiter fort. Der Hauptgrund hierfür liegt zweifelsohne im Lockdown, der die Geschäftstätigkeit im Einzelhandel sowie in der Gastronomie und im Tourismus, aber auch im Sport- und Kulturbereich stark einschränkt oder vollständig verhindert.

Sorgenkind: Innenstädte

Besonders stark betroffen von den aktuellen Corona-Maßnahmen, die mit Wirkung zum 19. Januar noch einmal verschärft und bis zum 14. Februar verlängert wurden (Bundesregierung, 2021b), sind die deutschen Innenstädte. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) rechnet vielerorts mit einer weiteren Zunahme von Geschäftsschließungen und Leerständen, wovon Prognosen zufolge bis zu 50.000 Einzelhandelsstandorte betroffen sein könnten (DStGB, 2021). Die aktuelle Krise stellt dabei den ohnehin schon unter Druck befindlichen und in großer Konkurrenz zum Onlinehandel stehenden (innerstädtischen) Einzelhandel vor noch größere Herausforderungen. Die Versäumnisse der Vergangenheit treten nun mit voller Wucht zu Tage und zwingen alle Akteure zu Handeln.

Kommunalumfrage über die Zukunft der Innenstädte und Zentren in NRW

Organisiertes, priorisiertes und strukturiertes Handeln bedarf zunächst einer fundierten Analyse. Wichtige Erkenntnisse zur Lage in den Innenstädten und Zentren in Nordrhein-Westfalen liefert hierzu beispielsweise eine vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung (MHKBG) im Sommer 2020 in Auftrag gegebene Studie zur Zukunft der Innenstädte und Zentren in NRW (MHKBG, 2020a). Nach Einschätzungen der Kommunen führen die durch die Corona-Pandemie zu erwartenden Effekte zu folgenden zentralen Entwicklungen:

  • Die Coronakrise wird zu einer wesentlichen Veränderung der Einzelhandelslandschaft in den Innenstädten und Zentren beitragen.
  • Es ist von einer zusätzlichen Verlagerung von Umsatzanteilen zu Lasten des stationären Einzelhandels auszugehen.
  • Es ist eine nachhaltige Schädigung der Zentren infolge von Geschäftsaufgaben zu erwarten.
  • Der Strukturwandel im Einzelhandel wird eine zusätzliche Beschleunigung erfahren.
  • Der stationäre Einzelhändler und andere Akteure werden vermehrt digitale Angebote (E-Commerce) umsetzen.
  • Die grundlegenden Ziele der Zentrenentwicklung werden durch die Coronakrise nicht infrage gestellt.

Weiterhin kann die besondere Situation der Studie zufolge zumindest in Teilen als Impuls für eine Weiterentwicklung des (bislang) stationären Einzelhandels wirken. Neben der genannten Umsetzung digitaler Angebote wird zumindest in einigen Fällen die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle durch vorhandene Einzelhändler erwartet. Für eine Vielzahl von Einzelhändlern wird dies unserer Einschätzung nach zu einer zwingenden Notwendigkeit werden, wenn sie ihre Existenz erhalten wollen.

Als Experten im Bereich der Geschäftsmodellentwicklung sehen wir von #FORTSCHRITT große Potenziale für den stationären Einzelhandel, wenn dieser den Mut hat, über den digitalen Tellerrand zu schauen und seine bisherigen Angebote zu digitalisieren oder gar digital zu transformieren.

Zusätzlich zu den in der Studie beschriebenen Auswirkungen gehen wir von #FORTSCHRITT von weiteren strukturverändernden Tendenzen aus:

  • Geringere Pendlerströme in die (größeren) Innenstädte durch Homeoffice und hybrides Arbeiten sorgen für weniger Laufkundschaft für den dortigen Einzelhandel.
  • Im Gegenzug können hybride Arbeitsmodelle die Tendenz zur Belebung kleinerer Innenstädte und dörflicher Strukturen fördern.
  • Veränderte Liefer- und Logistikströme (Last Mile: Verschiebung von zentral zu dezentral) bieten die Chance, die Angebotslücken mit neuen, alternativen Versorgungsangeboten zu schließen.
  • Der Wandel in der Erwartungshaltung der Kunden („Shopping“ vs. „Einkaufen“) führt zu einer zunehmenden Eventisierung des Handels.

Die bevorstehenden Herausforderungen und der damit verbundene Handlungsdruck sind dabei von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich und hängen nicht zuletzt vom bisherigen Entwicklungsstand und den geleisteten konzeptionellen Überlegungen ab. Eines hat uns die Krise aber schon gezeigt: Wenn Kräfte und Kompetenzen gebündelt werden, wenn Kooperationen zielgerichtet aktiviert werden, dann können in kurzer Zeit kaum vorstellbare Entwicklungsschübe vollzogen werden.

Staatliche finanzielle Hilfen

Um die von der temporären Schließung betroffenen Solo-Selbstständigen, Unternehmen und Einrichtungen zu unterstützen, hat die Bundesregierung ihre außerordentlichen Wirtschaftshilfen ausgedehnt und bis Juni 2021 verlängert (Bundesregierung, 2021a). Diese beinhalten Überbrückungshilfen in Form von Fixkostenzuschüssen, Neustarthilfen und Steuererleichterungen. Weiterhin gibt es diverse Förderprogramme, die Zuschüsse für Digitalisierungsprojekte bereitstellen. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf das Förderprogramm go-digital hingewiesen (BMWi, 2021), womit neben der Einrichtung und Optimierung von digitalen Prozessen und der Erschließung zusätzlicher Marktanteile durch Digitalisierung auch Maßnahmen im Bereich der IT-Sicherheit finanziert werden können. Detailliertere Informationen zu go-digital erhalten Sie hier.

Zusätzlich haben auch die Länder zahlreiche Sofortprogramme aufgelegt, die zur Stärkung der Innenstädte und Zentren beitragen sollen. So hat beispielsweise das Land Nordrhein-Westfalen 70 Millionen Euro bereitgestellt, um den Wandel in (Einzel-)Handel sowie der Gastronomie zu begleiten (MHKBG, 2020b). Diese Hilfen sind im Kern strategisch-infrastrukturell ausgerichtet und umfassen vier Handlungsfelder:

  • eine vorübergehende Anmietung leerstehender Ladenlokale durch die Kommunen zur Etablierung neuer Nutzungen
  • die Konzentration von Immobilien-Knowhow, um gegenüber den Eigentümern auf Augenhöhe agieren und Nachnutzungsperspektiven entwickeln zu können
  • ein Zwischenerwerb von Einzelhandelsimmobilien, um die Verfügungsgewalt über die Objekte zu erlangen (Schutz vor Immobilienspekulationen)
  • die Etablierung eines Zentrenmanagements und Vorbereitung eines Verfügungsfonds, um die Konzentration von Handelslagen zu prüfen

Beispiele und Stimmen aus der Praxis

In vielen Kommunen wird bereits intensiv an Konzepten zur Innenstadtbelebung gearbeitet. Die Impulse sind vielfältig und beinhalten vielversprechende Maßnahmen und Nutzungsmöglichkeiten, die dem Zeitgeist eines lebendigen Zentrums Rechnung tragen. So organisiert im hessischen Hanau die städtische Marketing GmbH unter dem Namen „Händler helfen Händlern“ eine Aktion, in dessen Rahmen Händler ein Netzwerk aufbauen und sich gegenseitig unter die Arme greifen können. Zudem werden Konzepte für eine gemeinsame Onlineplattform unterstützt, worüber Einzelhändler wenigstens einen Teil ihrer üblichen Einnahmen erwirtschaften können (Glaser-Lotz, 2021).

Weitere Anregungen zu einer multifunktionalen Nutzung der bestehenden innerstädtischen Strukturen gehen auch von Immobilieninvestoren aus, deren Augenmerk ebenfalls auf eine belebte Innenstadt gelegt ist:

Die innerstädtischen Einzelhandelsflächen müssen sich in Teilen neu erfinden, um den hybriden Bedarf der Endkunden abzudecken. Sprich, die zur Verfügung stehenden Flächen u.a. auch als Logistik- bzw. Distributionsfläche zu nutzen. In den aktuellen Zeiten mit wachsendem Online-Handel wird die Retouren-Problematik immer sichtbarer und sollte mit dem Warenmanagement des stationären Handels kombiniert werden. Damit bekommt das Thema „Click-Collect-Return“ noch mehr Bedeutung.“

Quelle: Interview mit einem Immobilieninvestor aus Südwestfalen zur Lage und Entwicklung der Innenstädte

Innenstädte sind die Visitenkarte einer Stadt oder Gemeinde

Die Innenstädte stellen für viele Bürgerinnen und Bürger einen Identifikationsfaktor sowie einen Ort der Begegnung dar. Das oberste Ziel muss es daher sein, Innenstädte als Orte der Nutzungsvielfalt, Kommunikation und Lebensqualität zu erhalten und zu stärken (DStGB, 2020). Dies kann nur gelingen, indem alle Innenstadtakteure und die Bürgerschaft gemeinsam an kreativen und nachhaltigen Innenstadtkonzepten arbeiten.

Zum zukünftigen Gesicht einer vitalen und lebenswerten Innenstadt werden neben dem Handel und der Gastronomie weitere Nutzungsarten gehören. Urbane Produktion und Handwerk, Freizeit- und Kulturangebote, neue Arbeitsformen wie Co-Working sowie die Integration von Bildungsangeboten und neuer innerstädtischer Wohnformen werden das Stadtbild von Morgen prägen.

Exemplarische Nutzung und Entwicklungsmöglichkeiten

Mit den staatlichen Fördermitteln könnten beispielsweise lokale Start-ups unterstützt und deren Ansiedlung in Innenstadtimmobilien gefördert werden. Die teilweise zwar vorhandene, aber unter dem Radar befindliche Kreativität und Innovationskraft der Gründerszene kann so sichtbar gemacht werden und die kommunalen Standorte langfristig stärken. Neben der Bereitstellung von flexiblen Büroflächen-Konzepten erweisen sich auch Accelerator- und Inkubatorprogramme als effektive Starthilfe für junge Unternehmen. Im sauerländischen Iserlohn entsteht unter großer Beteiligung von #FORTSCHRITT zurzeit auf einer Fläche von 800m² mitten in der Innenstadt das Projekt „Weltenraum“. Der Weltenraum wird ein Ökosystem für junge Start-ups und ein Ort sein, der den wirtschaftsstarken Mittelstand Südwestfalens mit jungen und innovativen Ideen verbindet und ein Stück urbanen Lifestyles vermittelt. Solche Leuchtturmprojekte können die Initialzündung für weitere unternehmerische Tätigkeiten sein und im Idealfall zum Gewinn für die lokale und regionale Unternehmenslandschaft werden.

#FORTSCHRITT Fazit

Die Innenstadt- und Zentrenentwicklung wird die Städte und Kommunen vor anspruchsvolle und komplexe Herausforderungen stellen. Anders als heute wird die Attraktivität in Zukunft durch eine vielfältige Mischung von unterschiedlichen Angeboten, Faktoren und Nutzungen bestimmt sein. Das Umdenken in Richtung dieser Multifunktionalität geht mit einem veränderten Verständnis von Zentren einher. Deren aktive Gestaltung erfordert Mut zu deutlichen Veränderungen von allen Akteuren: Einer aufgeschlossenen und vorausschauenden Verwaltung, kreativen und innovativen Unternehmern, interessierten und mitgestaltenden Bürgerinnen und Bürgern sowie langfristig denkenden und der Nachhaltigkeit verschriebenen Investoren. Nur so kann der Wandel unserer Innenstädte zu lebenswerten Oasen gelingen - packen wir es gemeinsam an!

Die Kompetenzen von #FORTSCHRITT liegen in der Entwicklung, Optimierung und Überprüfung von Geschäftsmodellen und Businessplänen, der Szenarioanalyse sowie im Projektmanagement. Gerne unterstützen wir Städte und Gemeinden, Einzelhändler oder Wirtschaftsverbünde dabei, gemeinsame Konzepte zu erarbeiten, Plattformen des Austauschs zu schaffen oder Projekte zu realisieren. Kontaktieren Sie uns hierzu unter: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Autor

Marcus Lödige

Head of Research #FORTSCHRITT

Marcus Lödige (geb. Dodt) ist Head of Research bei der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT. Er ist Experte im Bereich Higher Education, Corporate Development, Market Research und New Work. Er ist zertifizierter Scrum Master und promoviert an der Deutschen Sporthochschule Köln am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik.

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