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Autor: Christoph Neumann (Experte für Neue Arbeitswelten bei #FORTSCHRITT)
- 30.07.2021 -

Um eines vorweg zu nehmen – die Differenzierung fällt wahrscheinlich ein bisschen schwerer, als im Titel so reißerisch beschrieben. Trotzdem wollen wir uns in diesem Beitrag dem Thema Achtsamkeit, ein weiteres Buzzword unserer jetzigen Zeit neben „New Work“, einmal kritisch aus verschiedenen Richtungen nähern und untersuchen, wie gut sich diese, nicht sehr neue Form, der bewussten Wahrnehmung und Konzentration auf innere Prozesse in einen Unternehmensalltag integrieren lässt und welche positiven Auswirkungen dies haben kann.

Goldfisch schlägt Mensch

Eine Microsoft Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass mittlerweile sogar ein Goldfisch eine längere Aufmerksamkeitsspanne als der Mensch besitzt (Microsoft Attention Spans Research Report). Die Aussage mit dem Goldfisch in der Studie ist in der wissenschaftlichen Welt umstritten, zeigt aber doch den Kern des Problems. Die Fähigkeit, uns über einen längeren Zeitraum auf eine einzige Sache zu konzentrieren, geht uns aufgrund der zunehmenden Geschwindigkeit des Lebens verloren. Im Alltag sind wir ständig äußeren Reizen ausgesetzt, die uns ablenken und die Konzentration erschweren. Produktives Arbeiten kann uns aber nur dann wirklich gelingen, wenn wir unseren Fokus bewusst auf unsere Arbeit und das, was zu tun ist, ausrichten können.

Achtsamkeit ist kein Nischentrend

Nun könnte man sagen, dass auch nicht alle Arbeiter den ganzen Tag über konzentriert arbeiten oder sich auf eine bestimmte Aufgabe fokussieren müssen. Eben dafür haben ja Arbeitsteilung, Job Rotation und andere Tools Einzug in unsere Unternehmen gehalten. Trotzdem ist in der heutigen digitalisierten Welt der Anteil der Wissensarbeiter gestiegen, die sich mit komplexen Sachverhalten auseinandersetzen und diese bewerten müssen. Spätestens hier ist eine Fokussierung auf die zu bearbeitenden Aufgaben wichtig, um nicht Berufe zu erwähnen, in denen eine Null-Fehler-Toleranz herrscht, wie im Qualitätswesen, oder noch ausdrücklicher in Gesundheits- und Pflegeberufen.
Um das nochmal ganz deutlich herauszustellen: Ich bin der festen Überzeugung, dass ein achtsamer Umgang mit den eigenen Ressourcen und eine achtsame Lebensweise nicht nur im White-Collar-Bereich, sondern auch bei den Blue-Collar-Kollegen zu besseren Arbeitsergebnissen und zufriedeneren Mitarbeitern führen kann. Die Wirkung von meditativen Konzentrationsübungen lässt sich mit neurowissenschaftlichen und bildgebenden Verfahren nachweisen. (Quelle: Haufe Akademie)

Aber nähern wir uns, wie angekündigt, dem Thema von zwei Seiten.

„Wenn Du vor einer Tür stehst, stehst Du vor einer Tür. Wenn du mit deiner Frau streitest, streitest du mit deiner Frau. Wenn du vor einer Tür stehst und im Geiste weiter mit deiner Frau streitest, ist das schlichtweg dämlich.“ Karsten Dusse, Achtsam Morden

Humbug

Hört man in die Chefetagen und das Mittelmanagement der Unternehmen hinein (insbesondere und gerne auch in KMU’s), dann wird das Thema „Achtsamkeit“ schnell und gerne in der „Esoterik“- Ecke verortet. Eine neue Sau, die von findigen Trainern, Coaches und unausgelasteten Yoga-Lehrern durchs Dorf getrieben wird. (Quelle: eigene Recherche und Gespräche) Eine Sau, die sich mit dem immer noch weit verbreiteten Machismo-ArbeitistLeiden-Heldentum in vielen Unternehmen nicht verträgt und daher schnell wieder zur Tür hinausgejagt wird.
Achtsamkeit wird dann oft gleichgesetzt mit Langsamkeit und Minderleistung und nicht mit z.B. erhöhter Aufmerksamkeit und Präzision oder auch Burn-Out-Prävention.

Ein typischer Einwand aus dem Mittelstand und von techniklastigen und sehr vertriebsorientierten Unternehmen lautet oftmals: So etwas wie Achtsamkeit passt nicht zu uns und unserer Branche. Gemeint ist: In einer Branche, in der es um harte Zahlen und Fakten, um die Optimierung von Prozessen und Strukturen geht und wo mit harten Bandagen gekämpft wird, hat so etwas „softes“ wie Achtsamkeit keinen Platz. Doch dieser Ansatz ist etwas zu kurz gesprungen, denn Achtsamkeitsübungen ersetzen ja keineswegs erfolgreiche Prozesse, sondern führen zu mehr Aufmerksamkeit. Strukturen werden schärfer wahrgenommen und abgegrenzt, Fehler schneller und sicherer entdeckt. Achtsamkeit und die Optimierung von Prozessen können dieselbe Seite einer Medaille sein.

Ganz ungewöhnliche Bedenken kommen manchmal auch von Seiten, von denen man sie auf den ersten Blick gar nicht vermutet hätte: Arbeitnehmerverbänden und Betriebsräten. Diese befürchten, dass Seminare und Workshops zum Thema „Achtsamkeit im Unternehmen“ nur ein versteckter Versuch sind, Stress zu kaschieren, der durch Überstunden oder durch Multi-Tasking und ständige Erreichbarkeit entstanden ist. Sie sehen in den Übungen zur Achtsamkeit nur den Versuch der Führungskräfte und des Managements, die Workforce noch weiter zu optimieren und nicht etwa eine Möglichkeit, den einzelnen Mitarbeitern Wege aufzuzeigen, den Stress, der immer in Organisationen entsteht, besser zu verarbeiten. Sie denken, dass die Mitarbeiter nur noch belastbarer gemacht werden sollen, um mehr zu leisten und nicht, um gesünder zu arbeiten.

Hier zeigt sich ein falsches Verständnis von Achtsamkeit: Denn Mitarbeiter sollen durch professionelles Achtsamkeitstraining lernen, ihre persönlichen Grenzen klarer wahrzunehmen und zu achten. Das soll allerdings nicht heißen, dass die Betriebsräte und Verbände nicht manchmal Recht haben, was die Beweggründe der Unternehmen angeht, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Wenn man es aber wertfrei, im Sinne der Achtsamkeit, betrachtet, heiligt in diesem Fall wohl das Ziel die Intention.
(Quelle: Haufe Akademie)

Heilsbringer

Wie so oft bei Trends gehen auch beim Thema „Achtsamkeit im Unternehmensalltag“ die Tech-Firmen aus dem Silicon-Valley, allen voran Google, dem Tross voraus.

Schon 2007 startete der Suchmaschinengigant unter dem passenden Namen „Search inside yourself“ ein firmeninternes Meditationsprogramm. Dies war weit bevor der Trend auch nach Europa und Deutschland geschwappt ist. Das Programm wurde von den Mitarbeitern begeistert angenommen. Mehr als 1.000 Google-Mitarbeiter haben seitdem an dem Kurs teilgenommen und die Warteliste für Neueinsteiger ist sehr lang.

Aber nicht nur Unternehmen aus dem Silicon Valley setzen auf die „Kraft der Achtsamkeit“ im Alltag der Unternehmen. Große DAX-Konzerne wie Siemens, RWE oder andere bieten ihren Mitarbeitern inzwischen entsprechende Kurse an. Selbst eher spröde Institutionen wie die Europäische Zentralbank oder die Deutsche Bank haben inzwischen Meditationskurse ins Portfolio der internen Weiterbildung aufgenommen.

Aber sprechen die Erfolge für sich?

Achtsamkeitsübungen helfen laut Studien nachweislich dabei, Burnout, psychischen Erkrankungen und Süchten vorzubeugen und diese zu behandeln. Wer seinen eigenen Bedürfnissen stärker nachspürt, wird schneller intervenieren, wenn es zu Störungen kommt. Eine weitere Folge, die körperliche Entspannung, die mit Achtsamkeit oder auch englisch „Mindfulness“ einhergeht, führt zu einer höheren Zufriedenheit mit sich und seiner Arbeit. Gesundheitsbedingte Fehltage können dadurch reduziert werden, insbesondere wenn man bedenkt, dass sich die Fehltage durch psychische Auslöser in den letzten 40 Jahren verfünffacht haben. (BKK Gesundheitsreport 2015) Und: Die durchschnittliche Dauer psychisch bedingter Krankheitsausfälle ist mit 39,1 Tagen dreimal so hoch wie bei anderen Erkrankungen mit 13,3 Tagen.

Achtsamkeit für Unternehmen und MA

Abb. 1: Nutzen von Achtsamkeit für Unternehmen und Mitarbeiter - Quelle: eigene Darstellung

#FORTSCHRITT-Fazit

Achtsamkeit hilft, die Herausforderungen der Arbeitswelt nachhaltig zu bewältigen und ein gesunderes und glücklicheres Leben zu führen. Achtsamkeitsübungen für Führungskräfte und Mitarbeiter sorgen so für einen geringeren Krankheitsstand, eine innovationsfreundliche Firmenkultur, ein besseres Betriebsklima und eine höhere Zufriedenheit mit sich und dem Unternehmen. Achtsamkeitsseminare bilden hierfür den Werkzeugkoffer. Möchten auch Sie das Thema nun für Ihr Unternehmen entdecken? Sprechen Sie uns gerne an und wir entwerfen mit Ihnen eine maßgeschneiderte Strategie zur Einführung für Ihr Unternehmen und vermitteln Ihnen kompetente Trainerinnen und Trainer aus unserem Netzwerk.

  • Literaturverzeichnis
    • Stressreduktions-Programm (Stress Reduction Programm) entwickelt von Herbert Benson und seinem Team am Mind/Body Medical Institute, Harvard Medical School (Benson 1976; Benson & Stuart 1995)
    • Stressbewältigung durch Achtsamkeit (Mindfulness-Based Stress Reduction Program - MBSR) entwickelt von Jon Kabat-Zinn und seinem Team an der Stress Reduction Clinic, University of Massachusetts Medical School (Kabat-Zinn 1986 und 2011)
    • Lebensstil Programm (Program for Reversing Heart Disease) entwickelt von Dean Ornish und seinem Team an der School für Medicine, University of California, San Francisco (Ornish et al. 1990; 2001 und 2010)
    • Moderne Ordnungstherapie/Mind-Body-Medizin entwickelt von Dr. Anna Paul, Prof. Dr. Gustav Dobos und Team an den Kliniken Essen-Mitte / Lehrstuhl für Naturheilkunde und Integrative Medizin Universität Duisburg-Essen (Dobos & Paul 2011; Paul & Michalsen 2008)
    • Ivanowski, B., und Malhi, G. S. (2007), The psychological and neurophysiological concomitants of mindfulness forms of meditation
    • Baer, R. A., Smith, G. T., Hopkins, J., Kreitemeyer, J., und Toney, L. (2006), Using self-report assessment methods to explore facets of mindfulness
    • Kilner, S. J., und Zelazo, P. D. (2007), »Mindfulness meditation and reduced emotional interference on a cognitive task
    • Hick, S. F., Segal, Z. V., und Bien, T. (2008), Mindfulness and the Therapeutic Relationship (Guilford Press)
    • Kabat-Zinn, J., Lipworth, L., Burncy, R., und Sellers, W. (1986), Four-year follow-up of a meditation-based program for the self-regulation of chronic pain: Treatment outcomes and compliance
    • Speca, M., Carlson, L. E., Goodey, E., und Angen, M. (2000), A randomized, wait-list controlled trail: the effect of a mindfulness meditation-based stress reduction program on mood and symptoms of stress in cancer outpatients
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    • Michalak, J. (2010), Embodied effects of Mindfulness-based Cognitive Therapy
    • Brown, K. W., und Ryan, R. M. (2003), The benefits of being present: Mindfulness and its role in psychological well-being
    • Der achtsame Weg durch die Depression von Mark Williams, John Teasdale, Zindel Segal und Jon Kabat-Zinn (Arbor 2009)
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    • Farb, N. A. S., Anderson, A. K., Mayberg, H., Bean, J., McKeon, D., und Segal, Z. V. (2010), »Minding one’s emotions: Mindfulness training alters the neural expression of sadness
    • Shroevers, M. J., und Brandsma, R. (2010), »Is learning mindfulness associated with improved affect after mindfulness-based cognitive therapy?
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    • Kabat-Zinn, J., Gesund und stressfrei durch Meditation: das große Buch der Selbstheilung (O. W.Barth 1991)
    • Segal, Z. V., Williams, J. M. G., und Teasdale, J. D., Die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie der Depression: ein neuer Ansatz zur Rückfallprävention ●
    • Vidyamala Burch, Gut leben trotz Schmerz und Krankheit: Der achtsame Weg, sich vom Leid zu befreien, Kapitel 8 (Goldmann 2009)
    • Rosenbaum, E., Here for Now: living well with cancer through mindfulness, (Hardwick, Satya House Publications, 2007)
    • Microsoft Attention Spans Research Report | Attention | Advertising (scribd.com)
    • 7Mind-ABSM-Modul-1.pdf
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Autor

Christoph Neumann

Experte für Neue Arbeitswelten bei #FORTSCHRITT.

Christoph Neumann ist seit mehr als 10 Jahren in der Beratung von KMU und Konzernen in den Bereichen Personalentwicklung und Neue Arbeitswelten tätig und verfügt über langjährige Führungserfahrung im Bereich Vertrieb und Marketing sowie Turnaround-Management. Er war Geschäftsführer der größten studentischen Wirtschaftskonferenz – des Campus Symposiums – und ist Geschäftsführer und Gesellschafter eines Start-up-Inkubators und Coworking-Spaces im sauerländischen Iserlohn – dem WELTENRAUM. Er ist Mitglied mehrerer Expertenkommissionen zu dem Thema New Work und gehört zum Kreis des „Next Generation Networks“ des Aspen Institutes Deutschland.

Christoph ist ebenfalls Co-Autor der Studie "Zukunft der Arbeit - New Work als Heilsbringer?".

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