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Autorin: Vanessa Völlmecke (Consultant #FORTSCHRITT)
- 31.10.2022 -

Unsere Arbeitswelt verändert sich – Digitalisierung, Arbeitskräftemangel, Generationenwechsel und so viele Jobwechsel wie noch nie. Die Gallup Studie von 2021 zeigt, dass jeder vierte Beschäftigte auf dem Absprung ist und innerhalb eines Jahres den Arbeitgeber wechseln möchte. 14% sind aktiv auf der Suche; das sind doppelt so viele wie im vergangenen Jahr.

Zahlreiche Unternehmen in Deutschland stehen auch aus diesem Grund vor der Herausforderung, passende Arbeitskräfte zu finden und offene Stellen zu besetzen. Der (zunehmende) Mangel an Arbeitskräften führt dazu, dass die zur Verfügung stehenden Arbeitnehmenden die Defizite kompensieren müssen. Dies mündet schlussendlich in einer zusätzlichen Arbeitsintensität sowie Arbeitsbelastung. Die Folgen spiegeln sich in einer steigenden Zahl der psychischen Erkrankungen wider. Laut DAK Psychreport (2022) erreichte der Arbeitsausfall wegen psychischer Erkrankungen im Jahr 2021 einen neuen Höchststand. Das Niveau lag mit 276 Fehltagen je 100 Versicherte um 41 Prozent über dem von vor zehn Jahren. Während aus Wirtschaft und Politik die Forderung nach einer 42-Stunden Woche aufkommen, um den Personalmangel auszugleichen und die wirtschaftliche Stärke Deutschlands aufrecht zu erhalten, legt die steigende Zahl der psychischen Erkrankungen jedoch eher nahe, die Arbeitsbelastung zu reduzieren.

Eins ist klar: In der aktuellen Situation muss auf der Suche nach neuen Lösungen in alle Himmelsrichtungen gedacht und ergebnisoffen diskutiert werden!

Ein konkreter Lösungsvorschlag ist dabei die Einführung einer 4-Tage-Woche. Diese wurde bereits in einigen Ländern (z.B. Großbritannien, Island, Spanien) getestet und auch zahlreiche Unternehmen in Deutschland wagen den Versuch und adaptieren das Modell auf ihre Organisation. Die Motivation dahinter? Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität, Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation sowie Steigerung der Gesamtproduktivität.

Doch wie funktioniert die 4-Tage-Woche eigentlich? Und wie kann man mit weniger Arbeitszeit am Ende produktiver sein? Dies wollen wir uns im weiteren Verlauf genauer anschauen.

Arbeitszeitkonzepte 4 Tage Woche 42 Stunden Woche

Stand der Forschung

Der aktuelle Stand der Forschung beschreibt drei verschiedene Modelle, anhand dessen die 4-Tage-Woche in Unternehmen eingeführt werden kann (Mulke, 2022). Den Modellen liegt die Annahme zu Grunde, dass die Arbeitnehmer bisher eine 5-Tage-Woche haben und die gesetzlich bestimmten maximalen Wochenstunden arbeiten.

  1. Das erste Modell basiert auf einer Reduzierung der aktuellen Wochenstunden um 20 Prozent bei, vollständigem Lohnausgleich. Die Arbeitszeit ist innerhalb von vier Tagen zu erbringen. In Spanien wird derzeit ein Modellprojekt durchgeführt, wo dieses Modell umgesetzt wird. Dabei handelt es sich um eine Sozialmaßnahme, die dazu beitragen soll, gegen die Jugendarbeitslosigkeit vorzugehen (Fuchsbriefe, 2022).
  2. Auch bei dem zweiten Modell sind die Wochenstunden innerhalb von vier Tagen zu erbringen und der Lohnausgleich bleibt gleich, jedoch werden die Wochenstunden insgesamt nicht verändert. Insbesondere Handwerksbetriebe in Deutschland testen dieses Modell aktuell, um ihre Arbeitgeberattraktivität zu verbessern und somit Fachkräfte zu gewinnen bzw. zu halten (Evans, 2022).
  3. Bei dem dritten Modell werden sowohl die Wochenstunden als auch der Lohn gekürzt. Dabei handelt es sich um die Ausführung einer klassischen Teilzeitstelle.

Qualitative Untersuchung

Im Rahmen einer eigenen qualitativen Untersuchung wurden Arbeitnehmende aus dem Dienstleistungssektor, dem Gesundheits- und Sozialwesen, Lebensmitteleinzelhandel und der Industrie zu den praktischen Umsetzungsmöglichkeiten sowie den Vor- und Nachteilen der 4-Tage-Woche befragt.

Ergebnisse

Gleichbleibende Arbeitszeit und voller Lohnausgleich

Die Ergebnisse der qualitativen Untersuchung zeigen, dass es im 4-Tage-Modell bei gleichbleibender Arbeitszeit und vollem Lohnausgleich zur Verdichtung der Arbeit kommt. Dies hat eine steigende Arbeitsbelastung sowie steigenden psychischen Druck seitens der Arbeitnehmenden zur Folge. Als Konsequenz führt dies zu einem Leistungsabfall der Arbeitnehmenden, wodurch zwangsläufig auch die Präzision und Qualität der Ergebnisse leidet. Zusätzlich erkennen die Arbeitnehmenden starke negative Auswirkungen auf das gesundheitliche Wohlbefinden und befürchten ein steigendes Burn-out Risiko. Aus Sicht der Arbeitnehmenden wird der in diesem Modell zusätzlich gewonnene freie Tag nicht zur Kompensation der steigenden Belastung ausreichen. Des Weiteren ist bisher unklar, welche Auswirkungen dieses Zeitmodell auf die Arbeitsmotivation sowie das -verhalten hat. Zudem konnte festgestellt werden, dass die Arbeitszufriedenheit von dem veränderten Zeitmodell nicht unbedingt verbessert wird. Die Arbeitnehmenden betonten, dass die Arbeitszufriedenheit maßgeblich von dem Team abhängig ist.

„Heimat ist kein Ort, Heimat sind die Menschen.“

Reduzierte Arbeitszeit und reduziertes Gehalt

Auch die Alternative der reduzierten Arbeitszeit und des reduzierten Gehalts führt für viele Arbeitnehmende nicht zu einer Verbesserung der allgemeinen Situation. Die Ergebnisse zeigen, dass dieses Modell zu einer Reduzierung der Arbeitsmotivation und der Gesamtproduktivität führt. Der Vorteil dieser Alternative liegt in der gewonnenen Freizeit, die zur Verbesserung der Work-Life-Balance beitragen kann. Allerdings sehen die Arbeitnehmenden große Probleme in der Reduzierung des Gehalts. Insbesondere angesichts der bestehenden Krisen sowie steigender Energiekosten und der Inflation, erwarten sie starke finanzielle Schwierigkeiten, welches sich auch negativ auf die Gesundheit auswirkt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die finanziellen Folgen dieser Alternative die möglichen positiven Vorteile überlagern.

Reduzierte Arbeitszeit und voller Lohnausgleich

Diese Alternative der 4-Tage-Woche wird von den Arbeitnehmenden als am vielversprechendsten kategorisiert. Die Vorteile liegen in der Steigerung der Arbeitsmotivation sowie einer Verbesserung des Arbeitsverhaltens. Des Weiteren führt dieses Modell zu einem geringeren Stressempfinden seitens der Arbeitnehmenden sowie mehr Entschleunigung und Entspanntheit und folglich zu einem geringeren Krankenstand. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf profitiert von diesem Modell. Durch die zusätzliche freie Zeit könnte es so auch berufstätigen Eltern ermöglicht werden, sich um die Kinderbetreuung zu kümmern, welches zu einer spürbaren Entlastung der Familien führen würde.

Handlungsempfehlungen

Die Ergebnisse der qualitativen Untersuchung zeigen, dass sich lediglich das Modell mit reduzierter Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich als eine wirklich Alternative für die Arbeitnehmer erweist.

Auf Grund der vorangegangen Betrachtung schließt sich die Frage an, ob es nicht ratsam ist, die bisherigen allgemeingültigen Modelle zu überdenken und sich hin zu individuellen Lösungen zu entwickeln. Dies beinhaltet sowohl die Analyse der Branche, der Organisation, der Tätigkeit sowie des Individuums, um darauf basierend maßgeschneiderte Arbeitszeitgestaltung zu konzipieren. Hierbei empfiehlt sich im Rahmen einer zielgerichteten Organisationsentwicklung, die bestehenden Prozesse und Strukturen zu analysieren, die Bedürfnisse der Arbeitnehmer zu berücksichtigen und Optimierungspotenziale zu identifizieren. Daraus können Effizienzgewinne und Produktivitätssteigerungen resultieren, die eine Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich legitimieren würden.

Auf Grund dessen empfiehlt es sich, bereits zu Beginn die Frage aufzuwerfen, welche Ziele mit der Einführung einer 4-Tage-Woche erreicht werden sollen. Im Kontext der Arbeitsgestaltung gibt es zahlreiche Möglichkeiten, um die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter zu erhöhen und Fachkräfte zu gewinnen. Im Fokus steht dabei die ganzheitliche Attraktivität des Unternehmens im Hinblick z.B. auf die Teamstruktur, Führungsverhalten, Arbeitsgestaltung oder soziale Umgebung. Eine mögliche Orientierung bieten hierbei die Kriterien förderlicher Arbeitsgestaltung nach Ulich (2020) oder die New Work Bewegung. Unabhängig davon, welches Modell oder welche Maßnahmen eingeführt werden, ist es im Rahmen eines Change-Management-Prozesses wichtig, dass die Mitarbeiter informiert, beteiligt und qualifiziert werden (Vahs & Weiand, 2020). Insbesondere die Bereitschaft zum Wandel in den Köpfen der Mitarbeiter ist dabei elementar. Hierbei spielen auch die Generationen sowie deren verschiedene Bedürfnisse eine bedeutsame Rolle. Folglich ist die 4-Tage-Woche lediglich als eine Möglichkeit der Optimierung von Organisationsprozessen und -strukturen anzusehen.

#FORTSCHRITT-Fazit

Grundsätzlich finde ich gut, dass wir beginnen, den Status quo zu hinterfragen und bestehende Strukturen und Prozesse der heutigen Arbeitswelt kritisch zu beleuchten und uns über neue, effiziente Lösungen Gedanken machen. Schließlich ist die übliche Aufteilung einer Arbeitswoche in fünf Arbeitstage und zwei Tage Wochenende keinesfalls ein unumstößliches Naturgesetz. Vielmehr hat sich diese Aufteilung über die Zeit entwickelt. Lassen Sie uns gemeinsam an einer Arbeitszeitgestaltung arbeiten, die zu Ihrem Unternehmen passt. Unser Team der Organisationsentwicklung steht Ihnen hierzu gern für ein Gespräch zur Verfügung. Schauen Sie auch gerne in unsere aktuelle Studie zur Zukunft der Arbeit, in der wir uns intensiv mit neuen Arbeitsformen, zeitgemäßer Führung und flexiblen Organisationsmodellen auseinandergesetzt haben.

 

Wenn Sie diesen Beitrag zitieren möchten, nutzen Sie gerne folgende Quellenangabe:

Völlmecke, V. (2022, 31. Oktober). Die 4-Tage-Woche: Ein Konzept mit Zukunft? FORTSCHRITT GmbH. https://fortschritt.co/blog-de/288-die-4-tage-woche-ein-konzept-mit-zukunft

Autor
Vanessa Völlmecke

Consultant der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT

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Vanessa Völlmecke ist Consultant bei der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT.

Nach Stationen im mittelständischen bis hin zum akademischen Umfeld ist sie nun für #FORTSCHRITT in den Bereichen der Organisationsentwicklung und neuer Arbeitswelten tätig.

Geprägt durch ihr Studium der Wirtschaftspsychologie liegen ihre Schwerpunkte auf den Themen Agilität, Kommunikation und emotionale Führung.

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