Coworking auf dem Land

Das neue Normal?

Autor: Christoph Neumann (Experte für Neue Arbeitswelten bei #FORTSCHRITT)
- 26.11.2020 -

Müssen Mitarbeiter zwingend in Büros des eigenen Unternehmens sitzen, um den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen zu pflegen? Ist die einzige Alternative hierzu das Homeoffice? Der folgende Beitrag zeigt, dass Coworking, insbesondere im ländlichen Raum, große Potenziale heben kann. Dabei ist Coworking als ein Teil der New Work–Bewegung zu sehen, der jedoch im Augenblick immens durch die Corona-Pandemie an Bedeutung gewinnt.

Coworking stammt als Begriff ursprünglich aus dem Englischen und bedeutet, wenn man es wörtlich übersetzt, nicht mehr als „zusammen arbeiten“. Beim Coworking arbeiten zumeist Start-ups, Freiberufler oder kreative Arbeiter in großen Open Spaces und teilen sich so eine gemeinsame Bürofläche. So kann man sich in den meisten Coworking-Spaces auch nur einen Schreibtisch anstatt eines ganzen Büros mieten (Startplatz.de, 2020).

Coworking ist nicht gleich Co-Working

Dabei ist klar zwischen dem Begriff „Coworking“ und „Co-Working“ zu unterscheiden.

Coworker arbeiten zwar im gleichen Raum zusammen, zumeist jedoch nicht am gleichen Projekt oder für den gleichen Kunden, oftmals noch nicht mal in der gleichen Branche. Trotzdem können sie sich gegenseitig ergänzen oder Hilfestellungen leisten – insbesondere, wenn in der jeweiligen Community irgendwann die Stärken jedes / jeder Einzelnen bekannt sind.

Coworking steigert die Kreativität

So kann man häufig zu deutlich besseren und kreativeren Ergebnissen kommen als allein. Oftmals bieten die Coworking-Spaces auch Infrastruktur wie Besprechungsräume, Küchen, Drucker oder sogar Maschinen und Werkzeug zum Prototyping an. Im Zentrum des Coworking steht die Bildung einer Gemeinschaft, welche über die reine Arbeitsbeziehung hinaus geht (Startplatz.de, 2020).

Co-Worker arbeiten am gleichen Projekt

Bei den Co-Workern steht hingegen ein gemeinsames Projekt im Vordergrund. Auch hier muss es nicht unbedingt der Fall sein, dass man in der gleichen Firma arbeitet, aber es muss ein verbindendes Element geben. Natürlich können auch diese in den Coworking-Spaces ideale Bedingungen für gemeinsame Projektarbeit finden – genauso wie Projektteams aus Unternehmen, die einmal nicht im Dunstkreis der eigenen Firma arbeiten möchten.

Revolution der Arbeit – Co-Working Space

Insbesondere im ländlichen Raum, oder wie man auch sagt, „in den Regionen“, können solche kreativen und innovativen Co-Working Spaces für eine Revolution der Arbeit sorgen. Sogar in Mittelzentren ist oftmals das Konzept des Co-Workings noch nicht angekommen, geschweige denn in wirklich ländlichen Regionen.

Fachkräftemangel in Südwestfalen

In unserer Arbeit zum Thema Fachkräftemangel in Südwestfalen zusammen mit der Wirtschaftskonferenz Campus Symposium haben wir gesehen, dass viele junge Menschen durchaus gewillt sind, in die ländlichen Gebiete oder Mittelzentren der Regionen zurückzukehren. Hier reden wir von der Altersgruppe 30 -40, die klar den Kauf von Immobilien und das Aufwachsen ihrer Kinder in nicht urbanen Strukturen im Blick haben (Dodt, 2019).

Rurbane Siedler kehren zurück

Dieser Typus Mensch hat den Wunsch, aus dem urbanen Raum wieder auf das Land zurücksiedeln, ohne dabei aber liebgewonnene Dinge aus dem urbanen Raum aufgeben zu wollen. Deshalb werden sie auch als „Rurbane Siedler“ bezeichnet. Hierbei spielt die Digitalisierung eine zentrale Rolle, damit die „Rurbanen Siedler“ auch aus dem ländlichen Raum heraus arbeiten können. Sie benötigen Unternehmen, die nicht mit einer starken Präsenzkultur ausgestattet sind und auch das mobile Arbeiten zulassen.

Generation XYZ zurück auf's Land

Aber auch die Altersgruppe 20 bis 30 ist unter gewissen Voraussetzungen gerne bereit, wieder in die Region der eigenen Kindheit oder auch in andere ländliche Gegenden zu ziehen. Hier spielen folgende Faktoren eine wichtige Rolle:

  • (Digitale) Infrastruktur

  • Kulturelle Angebote

  • Flexible Arbeitsformen

  • Inspirierende Arbeitgeber mit modernder Arbeitsweise

  • Gewisse Aspekte von Urbanität

Für die Altersgruppe 30-40 gelten im Wesentlichen die gleichen Bedingungen, jedoch ergänzt um die folgenden Aspekte:

  • Gute Kinderbetreuung

  • Nahegelegene weiterführende Schulen

  • Intaktes Vereinsleben

Voraussetzungen Rückkehr New Work Arbeitsplatz

Abb. 1: Voraussetzungen für eine Rückkehr in ländliche Regionen, Quelle: Eigene Abbildung

Urbanes Feeling im ländlichen Raum

Viele der genannten Aspekte können gezielt platzierte und gut angebundene Co-Working-Spaces lösen. Sie können das Stückchen urbanes Feeling, dass es braucht, in die Fläche transportieren und bei einer guten digitalen Anbindung die Arbeitsfähigkeit der oftmals sehr stark digitalen jungen Wissensarbeiter ermöglichen. Dabei spielt insbesondere die Zusammenarbeit mit anderen Gleichgesinnten eine große Rolle, etwas, dass „normale“ Büros nicht bieten können.

Weiterhin treffen in den Coworking-Spaces die jungen Rückkehrer auf Gleichgesinnte, die vielleicht in ganz anderen Unternehmen arbeiten und können sich somit auch über Unternehmensgrenzen hinweg austauschen. Dieser Austausch ist es auch, der die Regionen gemeinsam nach vorne bringen kann, denn:

a) er findet in den Großstädten und urbanen Regionen jeden Tag statt und

b) das Rad muss nicht von jedem Mittelständler neu erfunden werden.

Die neue Dorfmitte

In überwiegend ländlichen Gebieten können solche Coworking-Spaces auch zur neuen Dorfmitte werden und weit über den Arbeitskontext hinaus an Bedeutung gewinnen (Bähr et al., 2020).

Eine kürzlich veröffentlichte Bertelsmann-Studie zum Thema „Coworking im ländlichen Raum“ zeigt auf, dass Coworker auf dem Land sogar durchschnittlich älter sind, als in der Stadt, nämlich gerne auch über 50 und nicht nur Selbstständig, sondern auch der Bereich der Angestellten ist gut repräsentiert (Bähr et al., 2020).

Alter Coworking Erwerbstätige

Abb. 2: Durchschnittsalter von Coworkern im ländlichen Raum und Erwerbstätigen in Deutschland, Quelle: Bähr et al. (2020)

Coworking-Spaces sind ideale Start-up-Habitate

Nicht zuletzt sind Co-Working-Spaces auch ideale Habitate für Start-ups, um ihre ersten Gehversuche zu machen, ohne gleich in teure Büro-Infrastruktur investieren zu müssen. Die Vernetzung von Start-ups mit bestehenden (traditionellen) Unternehmen kann so auf der Mitarbeiterebene, weit weg von aufwendigen Pitch-Nights und Events, stattfinden.

Vernetzung und Austausch

Diese Vernetzung und dieser Austausch können am Ende den Wettbewerbsvorteil ausmachen, den viele mittelständische Unternehmen so dringend benötigen, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Schauen wir in andere Länder wie die USA oder Start-up-affine Länder wie Israel, dann ist dort der Austausch zwischen der „New Economy und der Old Economy“ wesentlich ausgeprägter und nicht mit Silodenken behaftet. Die deutsche Wirtschaft tendiert dazu, vermeintliche „Geschäftsgeheimnisse“ zu hüten wie ihren Augapfel.

Aufschwung im Markt

Der Bereich der Coworking-Spaces hat in den vergangenen Jahren einen starken Boom erlebt. Nicht zuletzt auch durch die New Work – Bewegung sind zahlreiche Spaces neu errichtet worden. Die Anzahl der Flächen für kurzfristige Vermietung im Arbeitskontext hat sich in den vergangenen 24 Monaten vervierfacht. Dies besagt eine Markterhebung des Bundesverbands Coworking-Spaces (BVCS) aus dem Mai 2020. Derzeit gibt es der Erhebung zufolge 1.268 Coworking-Spaces und die Zahl wächst deutlich. Anfang 2018 waren es gerade mal knapp über 300 (Consbruch, 2020).

Coworking und Corona

Natürlich muss man darüber sprechen, was die Corona-Krise mit Coworking-Spaces im ganzen Land macht. Auf den ersten Blick kann man natürlich sagen, dass dort mehr Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und mit unterschiedlichen Backgrounds zusammenkommen (öfter wechselnde Freelancer, etc.) und damit das Ansteckungsrisiko erhöhen.

Hygienekonzepte sind wichtig

Dem kann aber entgegengehalten werden, dass sich natürlich im klassischen Büro die Mannschaft auch aus verschiedensten Personen zusammensetzt. Oftmals sind die Hygienekonzepte in den Coworking-Spaces auch ausgefeilter als in den Unternehmen, alleine schon wegen der oftmals angewendeten „Clean Desk Policy“.

Insgesamt ist das Risiko einer Ansteckung also als gleichwertig, oder vielleicht sogar geringer einzustufen (Redmann & Wintermann, 2020).

Homeoffice-Müdigkeit hilft Coworking-Spaces

Ein weiterer Aspekt, der der Branche langfristig sogar zugutekommen könnte, ist die Liberalisierung des Arbeitsortes bei vielen Unternehmen. Selbst Firmen, in denen vor Corona Homeoffice oder Remote Work nicht vorstellbar war, mussten mit den neuen Formen experimentieren. Bei vielen Arbeitnehmern entsteht allerdings im Augenblick schon fast eine Homeoffice-Müdigkeit und man wünscht sich wieder mehr Interaktion mit anderen Menschen, ohne jedoch vielleicht den langen Pendelweg der Vergangenheit in Kauf nehmen zu müssen.

Gründe Coworking Homeoffice

Abb. 3: Coworking als Ersatz für das Homeoffice, Quelle: Eigene Abbildung

Auch hier kommen Coworking-Spaces ins Spiel, die als „Pendlerhafen“ fungieren können. Ebenfalls interessant ist, dass insbesondere im ländlichen Raum gerade viele High Potentials in Homeoffice-Situationen sitzen, die sich unter Umständen gar nicht kennen. Hier kann es Sinn machen, den Coworking-Space als Ort der Begegnung zu nutzen und sich gegenseitig zu befruchten.

Attraktiver Arbeitgeber durch Coworking

Ein weiterer Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist, ist die Steigerung der Arbeitgeberattraktivität durch die Möglichkeit, seine Arbeitszeit auch in Coworking-Spaces zu nutzen. Gerade Unternehmen im ländlichen Raum sehen sich einem heftig ausgetragenen „War for Talents“ ausgesetzt – den sie leider häufig zugunsten der Metropolen verlieren.

Auch bei diesem Aspekt können Coworking-Spaces als Teil der Arbeitslandschaft von (mittelständischen) Unternehmen zu einer Auffrischung des Arbeitgeber-Images beitragen (Coyle, 2018).

Local based networking

Apps für „local based networking“ wie beispielsweise Bizzdar können helfen, diese High Potentials sichtbar zu machen und zu vernetzen. Eine wichtige Rolle kann in diesem Zusammenhang dann auch wieder lokalen Business-Netzwerken, wie beispielsweise den Wirtschaftsjunioren, zukommen (Dark Horse Innovation, 2018).

Jetzt Lösungen schaffen!

Auch wir bei #FORTSCHRITT beschäftigen uns intensiv mit dem Thema „Neue Arbeitswelten“. Gerne unterstützen wir Sie bei der Einführung neuer Modelle wie Homeoffice, Coworking, mobilem Arbeiten, alternierender Telearbeit, uvm. Die rechtlichen und vor allem auch kulturellen Aspekte eines solchen Umbruchs sollten nicht unterschätzt und professionell moderiert werden. Sprechen Sie uns gerne dazu an!

 Mehrwert Coworking

Abb. 4: Mehrwerte von Coworking-Spaces, Quelle: Eigene Abbildung

    • Consbruch, L. v. (10. 11 2020). Redaktionsnetzwerk Deutschland. Von https://www.rnd.de/wirtschaft/coworking-spaces-warum-corona-fur-die-branche-sogar-eine-chance-ist-33C6RS5LU5DBJNJBPD6BTM6WU4.html abgerufen
    • Coyle, D. (2018). The culture code. London: Random House Business Books.
    • Dark Horse Innovation. (2018). New Workspace Playbook. Hamburg: Murmann Publishers.
    • Dodt, M. (2019). Fach- und Führungskräftemangel in Südwestfalen - Eine Region nimmt die Herausforderung an. In D. Brugger & A. Teichert (Hrsg.), Blickfeld Wirtschaft (S. 85 ff.). Frankfurt: #FORTSCHRITT.
    • Redmann, B. & Wintermann, B. (2020). New Work: Potenziale nutzen - Stolpersteine vermeiden. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
    • Startplatz.de. (10. November 2020). Von https://www.startplatz.de/startup-wiki/coworking/# abgerufen.
    • Bähr, U., Biemann, J., Lietzau, J., & Hentschel, P. (20. November 2020). Coworking im ländlichen Raum - Menschen, Modelle, Trends. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.).
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Christoph Neumann
Partner bei #FORTSCHRITT und Leiter der Organisationsentwicklung

Christoph Neumann ist seit mehr als 10 Jahren in der Beratung von KMU und Konzernen in den Bereichen Personalentwicklung und Neue Arbeitswelten tätig und verfügt über langjährige Führungserfahrung im Bereich Vertrieb und Marketing sowie Turnaround-Management. Er war Geschäftsführer der größten studentischen Wirtschaftskonferenz – des Campus Symposiums – und ist Geschäftsführer und Gesellschafter eines Start-up-Inkubators und Coworking-Spaces im sauerländischen Iserlohn – dem WELTENRAUM. Er ist Mitglied mehrerer Expertenkommissionen zu dem Thema New Work und gehört zum Kreis des „Next Generation Networks“ des Aspen Institutes Deutschland.

Christoph Neumann