Kontrast zwischen „digital“ und „analog“
Autor: Matthias Achim Teichert (Partner #FORTSCHRITT)
- 14.09.2020 -
Digitalisierung ist in aller Munde und zugleich Angst und Euphorie. Die IT-Experten driften in eine subkulturelle Sprache ab und andere nutzen „Digitalisierung“ als Buzzwort für die Lösung aller Probleme. Jedoch besteht bei vielen Aufklärungsbedarf zur Digitalisierung und ihrer Transformation. Unwissenheit führt zur Verwechslung von Folgen und Ursachen der Digitalisierung. In diesem Blog sollen Unterschiede zwischen der physischen und der digitalen Welt aufgezeigt werden.
Vielen fehlt es zum einen am Verständnis für die Abläufe der digitalen Welt. Zum anderen ziehen viele falsche Schlüsse über die Entwicklungen in der digitalen Welt.
Recht und Territorium – historische Relikte?
Mit der Entwicklung vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit ging eine Fixierung auf Ort und Territorium einher. Dies zeigt sich anhand der staatlichen Grenzziehungen, der geografischen Einteilung in Verwaltungseinheiten oder der notwendigen Bestimmung des Registergerichtsstandes von Unternehmen. Ebenfalls das deutsche Zivilrecht, welches mit seinem Bürgerlichen Gesetzbuch Eigentum und Besitz von Grund und Boden regelt, verknüpft Recht und Territorium.
Abb. 1: Das Territorium als Basis des Denkens: Links: Bundesländer und Landkreise; Mitte: Postleitzahlen; Rechts: (Erz-)Bistümer
In die digitale Welt lässt sich dieses Modell nicht Eins-zu-eins übernehmen, wodurch Friktionen entstehen. Beispielsweise sind beim Online-Verkauf das SEO und die Position im Google-Ranking wichtiger für die Erzielung hoher Umsätze als die geografische Premium-Lage in einem Ort. Auch ist es in der digitalen Welt relativ egal, ob der Hackerangriff z.B. von einem übermotivierten IT-Studenten aus Karlsruhe oder vom Militär aus Nordkorea kommt. Diese Entkopplung von der territorialen Fixierung begann mit der Elektrisierung. Die Elektrifizierung ermöglichte eine räumlich entkoppelte Nutzung zwischen Energiequelle und Energieverwendung. In der digitalen Welt ist diese geografische Entkopplung noch viel umfangreicher ausgeprägt.
Abb. 2: Evolution der Energiequellen und -nutzung und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsmobilität und Vernetzung (Quelle: Eigene Abbildung)
Exponentieller Verlauf – Digital ähnlich von Covid-19
Die meisten Menschen denken in linearen Denkmodellen. Wie bei Covid-19 sind jedoch die Entwicklungen im digitalen Bereich meist ein exponentieller Kurvenverlauf. Anhand der Entwicklung von Covid-19 zeigt sich, dass zum Start nur wenig Wachstum zu verzeichnen und dies zu einer anfänglichen Fehleinschätzung der Situation führen kann. Mit fortlaufender Zeit dreht die Situation durch die exponentielle Entwicklung und es kommt zu einem explosionsartigen Wachstum.
Ähnlich zu Covid-19 ist in der digitalen Welt zum Start die anlaufende Rampe sehr flach, sodass der Eindruck einer linearen Entwicklung aufkommt. Jedoch ist es eine Rampe in Form eines Hockeyschlägers mit Katapultstart am Ende. Aus diesem Grund ist es schwer, am Startpunkt zu erkennen, wie der Absprung am Ende erfolgen wird.
Gleichgewicht von Moore & Wirth
Die Grundlage für die digitale Revolution ist das „Mooresche Gesetz“ welches besagt, dass sich in ca. 18 Monaten die Leistungen der PC-Hardware verdoppeln und somit exponentiell wächst. Dieses „Mooresche Gesetz“, was wohl besser als Hypothese zu bezeichnen ist, wurde bereits 1965 von Gordon Moore, Gründer von „Intel“, artikuliert und hat bis heute Gültigkeit. Die Entwicklungen, beispielsweise im Bereich Schaltkreisdichte, Rechnerleistungen und Datenspeicher verlaufen bis heute nach dem von Moore formulierten „Gesetz“. Der eidgenössische Informatiker Nikolaus Wirth reflektierte die Softwareentwicklung und artikulierte das „Wirthsche Gesetz“ welches besagt, dass die technischen Verbesserungen von der sich ausufernden und ineffizienten Software aufgebraucht wird. Denn obwohl die Hardwareentwicklung rapide Verbesserungen vollzieht, verschnellern sich die Anwendungen nicht unbedingt. Dies resultiert aus dem ansteigenden Grad an Komplexität der Software und dem gleichsam wachsenden Datenvolumen. Im Zusammenspiel der „Gesetzte“ von Wirth und Moore entwickelt sich ein Gleichgewicht der Entwicklung.
Abb. 3: Die Entwicklung der Leistungsfähigkeit von Hardware und der Komplexität von Software (Quelle: Eigene Abbildung)
Kunden müssen zahlen! User nicht unbedingt.
Traditionell bildeten Kunde und User eine Personalunion in der Form, dass der Bezahlende auch das Produkt verwendete. Im digitalen Rahmen veränderte sich dies. Denn viele Menschen konsumieren Inhalte im Internet, ohne für diese Inhalte zu zahlen. Hierdurch werden diese zu Usern (Nutzern), sind jedoch nicht die Kunden, welche die Leistungen bezahlen. Die Kunden der GAFA-Konzerne sind z.B. Werbetreibende und Datenverwerter aber nicht die Milliarden von Nutzern der jeweiligen Plattformen, die für den eigenen Account und dessen Nutzung nicht zahlen. Im Blog Reset für die Kannibalisierung – Digitalisierung verstehen! ist dieser Wandel ausführlich beschrieben.
Abb. 4: Veränderung der Suppy Chain am Beispiel der Automobilindustrie (Quelle: Eigene Abbildung)
Plattformen erobern die Welt – der Faktor Netzwerk
Durch das Internet und die digitale Technik ist es möglich, größere Netzwerke zu erstellen als in der analogen Welt. Die internetbasierten Netzwerke ermöglichen neue Geschäftsmodelle, welche in der physischen Welt stark limitiert waren: Die Plattformen. Plattformen haben die Eigenschaft, dass sie erst bei einer großen Anzahl von Teilnehmern d.h. der Erlangung einer signifikanten Relevanz im Markt lukrativ werden. Des Weiteren sind sie in der Implementierung kostenintensiv und erzeugen erst mit steigender Marktpräsenz einen Mehrwert für den Kunden. Aus diesem Grund besteht zum Start eine Markeintrittshürde mit hohen Kosten und es können de facto keine Einnahmen generiert werden. Die meisten erfolgreichen Plattform-Businesses besitzen in Bezug auf ihre Zielgruppe ein Quasi-Monopol, welches z.B. regional oder thematisch etabliert wird. So existieren beispielsweise Plattformen für Essenslieferdienste, Taxifahrtenvermittlung, Hotelzimmer und Ferienwohnungen, aber auch die Social Media Plattformen haben sich unterscheidende Ausrichtungen und Use-Cases.
Bis zur Etablierung dieser Quasi-Monopole werden oft ambitionierte Wettbewerbe zwischen den konkurrierenden Plattformen ausgetragen. Solche Wettbewerbe bis hin zu Wettkämpfen um Kunden waren in den letzten Jahren beispielsweise bei den Food-Lieferdiensten, bei StudiVZ versus Facebook, LinkedIn versus Xing oder zwischen den Fernbus-Plattformen zu beobachten. Nach erfolgreicher Platzierung im Markt steigen die Einnahmen und die Gewinne in Form der Kurve eines Hockeyschlägers exponentiell stark an. Diese Einnahmen- und Gewinnkurve in Form eines „Hockey-Stick“ macht das Plattform-Business zu einem attraktiven Geschäftsmodell.
Abb. 5: Entwicklung der Aktienkurse bei Amazon und Tesla (Quelle: boerse.ARD.de)
Menschliche Sinne – Big Data und Fake News
Die menschlichen Sinne haben dem Menschen im Laufe der Jahrtausende geholfen, dass er agieren konnte. Durch Hören, Riechen, Schmecken, Sehen und Tasten gelang es ihm, die Umwelt wahrzunehmen. Mithilfe der Sinne sammelte der Mensch die notwendigen Informationen für seine Entscheidungsfindung. Der menschliche Wunsch, die Umwelt trotz Defizite der eigenen Sinneswahrnehmung klar zu sehen und zu verstehen, wird schon seit geraumer Zeit mit technischen Hilfsmitteln auszugleichen versucht. Mit Seh- und Hörhilfen wird beispielsweise die Informationslage seit Jahrhunderten verbessert. Der Wunsch nach mehr Informationen zur Verbesserung des Lagebildes spiegelt sich in der kontinuierlichen Verbesserung der Sensorik und dem Sammeln von Informationen und Daten wider. Dieses gesteigerte Datensammeln erzeugt Massen von Daten (Big Data). Diese Datenmassen werden exponentiell anwachsen und um ein Mehrfaches die Menge übersteigen, welche in der Historie bis heute gesammelt wurde. Ob für den Menschen das Lagebild mithilfe von Big Data fundierter wird, ist bis heute ambivalent. Denn Big Data erfordert eine passende Filterung der Daten, um die gewünschten oder notwendigen Informationen nutzen zu können. Mit einem gezielten Dejustieren der Filter ist es leicht möglich, Manipulationen oder Fake News zu erschaffen und als Wahrheit zu platzieren. Dieses Problem wird in der Zukunft stärker zunehmen. Denn die wahrgenommene Realität verschwimmt zunehmend mit einer technisch erzeugten Wirklichkeit. 3D-, VR-, und Hologramm-Brillen ermöglichen es, die Sinneseindrücke via Daten strukturiert zu verändern. Dies wird heute bereits z.B. bei E-Sports, Fernwartung oder im Entertainment genutzt, sodass die Realität und die Scheinwelt eines TV-Films anfangen, zu verschwimmen. Perspektivisch wird der Mensch „seinen eigenen Augen nicht mehr zu hundert Prozent trauen können“, da seinen Sinnen etwas „vorgespielt“ werden könnte.
Abb. 6: Die Qualität von Big Data und die prognostizierte Entwicklung der Datenmengen (Quelle: Eigene Abbildung)
Fazit
Digitalisierung ist kein „Hexenwerk“! Sie unterliegt klaren Regeln und Systematiken. Diese Regeln und Systematiker unterscheiden sich umfangreich zu denjenigen der analogen Welt. Es führt zum Erfolg, diese „digitalen“ Spielregeln zu (er-)kennen und zu nutzen, wobei selbstverständlich der Kunde, die Menschen, im Mittelpunkt stehen. Es ist notwendig, sich passend auf die digitale Welt aus- und einzurichten! Für die Digitalisierung Ihres Unternehmens genügt es nicht, einen Tischkicker zu installieren und einen rauschebärtigen Hipster ins Kollegium aufzunehmen, sondern hierfür werden grundlegende Veränderungen im Mindset, in der Organisation, in den Strukturen und der Ausrichtung Ihres Unternehmens notwendig. Sprechen Sie uns gerne hierzu an!
Wir von #FORTSCHRITT haben umfangreiche Erfahrungen beim Beraten und Begleiten von Mittelständler und Konzernen bei der digitalen Transformation. Die Kollegen von #FORTSCHRITT agieren erfolgreich als Digital-Beirat oder als Sparringspartner beim Mindset-Wandel.