Faktencheck!
Autor: Dr. Marcus Lödige (Head of Research #FORTSCHRITT)
- 07.11.2019 -
Für den Fachkräftemangel gibt es vor allem drei Gründe: Den demographischen Wandel, den Trend zum Studium und die Landflucht. Insbesondere ländliche Regionen wie Südwestfalen mit stark mittelständisch geprägten Strukturen haben gegenüber Studentenstädten und Ballungsräumen einen standortbedingten Nachteil. Doch wie stark ist der Fachkräftemangel tatsächlich ausgeprägt und wie wird er sich entwickeln? Diesen Fragen gehen wir im folgenden Beitrag mit einem Faktencheck nach.
Fakten bitte: Wie ist es wirklich um den Fachkräftemangel bestellt?
Der Fachkräftemangel ist ein bestimmendes Thema des deutschen Mittelstands. Laut einer Studie des Bundesverbandes der Industrie (BDI) sehen mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen (52 Prozent) im Fachkräftemangel eine der größten Herausforderungen der Zukunft (BDI, 2018). Jedoch stellt sich die Situation in den einzelnen Bundesländern und Regionen sehr heterogen dar, weshalb diese Problematik differenziert zu betrachten ist. In diesem Beitrag wird daher sowohl eine nationale als auch eine regionale Analyse mit dem Fokus auf Südwestfalen vorgenommen.
Demographischer Wandel und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Nach der Studie „Arbeitslandschaft 2025“ der Prognos AG (vbw, 2019) geht die Arbeitskräftenachfrage in Deutschland über fast alle Branchen und Wirtschaftsbereiche hinweg in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zurück. Eine Szenarioanalyse geht für das Jahr 2025 von etwa 500.000 nachgefragten Erwerbstätigen weniger als heute aus. Bis 2035 geht die Zahl der Personen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren um insgesamt drei Millionen Personen zurück. Für das Jahr 2045 wird damit gerechnet, dass die Zahl der Erwerbstätigennachfrage um sieben Millionen Personen von 54 Millionen auf 47 Millionen sinken wird.
Abb. 1: Bevölkerungsvorausberechnung für Deutschland (Quelle: Destatis, 2019)
Dieser Entwicklung steht jedoch der demographische Wandel gegenüber, der das Erwerbspersonenpotenzial (Arbeitskräfteangebot) im gleichen Zeitraum noch schneller schrumpfen lässt. Die sogenannten „Babyboomer“ erreichen in den nächsten 15 Jahren mehrheitlich das Rentenalter, wodurch die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter um über zehn Prozent oder sechs Millionen Menschen abnehmen wird. In Abbildung 1 ist die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung für die Jahre 2035 und 2045 dargestellt.
Prognose für die Fachkräfteentwicklung
Bleiben auf der Basis dieser Prognose die Ausbildungspräferenzen unverändert, wird das Angebot an Arbeitskräften mit einem Hochschulabschluss zunehmen, während künftig immer weniger beruflich Qualifizierte dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden. Konsequenz: Die Schere zwischen Fachkräfteangebot und -nachfrage öffnet sich weiter. Die beschriebene Entwicklung zeichnet sich in den nächsten Jahren sowohl deutschlandweit als auch für die Region Südwestfalen ab. Die nachstehende Abbildung zeigt eine Trendanalyse für Fachkräfte mit höherer beruflicher Qualifikation im technischen und kaufmännischen Bereich für den Wirtschaftsraum Südwestfalen.
Abb. 2: Fachkräfteangebot und -nachfrage in Südwestfalen (Quelle: IHK NRW)
Ausbildungsmarkt: Freie Lehrstellen trotz mehr Bewerber – Wie kann das sein?
Der Fachkräftemangel wird begleitet von einem weiteren Phänomen: Dem Azubi-Mangel. Zwar wurden im Jahr 2018 - dem Trend des Vorjahres folgend - trotz sinkender Zahl der Schulabgänger erneut 1,6 Prozent mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen, der Bedarf an jungen Fachkräften konnte damit allerdings nicht gedeckt werden.
Abb. 3: Situation auf dem Ausbildungsmarkt (Quelle: BMBF, 2019)
Wie aus dem Berufsbildungsbericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF, 2019) hervorgeht, konnten im Jahr 2018 deutschlandweit ein Drittel (34 Prozent - 57.656 Stellen) der gemeldete Ausbildungsplätze nicht besetzen werden – 2009 waren es nur 12 Prozent (17.766 Stellen). Dieser Zahl gegenüber stehen laut BMBF 24.540 unversorgte Bewerber (2018) im Vergleich zu 15.510 (2009). Dieses Mismatch liegt bei knapp der Hälfte der unbesetzten Stellen (44 Prozent) darin begründet, dass Betriebe den Bewerber etwa nicht für geeignet halten (qualifikatorisches Mismatch) oder sich Bewerber aus Gründen mangelnder Attraktivität gegen einen Betrieb entscheiden. Bei etwa einem Viertel (23 Prozent) der vakanten Stellen liegt das Problem in der fehlenden Mobilität. Schlechte ÖPNV-Angebote auf dem Land und zu große Distanzen zum Ausbildungsbetrieb und/oder der Berufsschule führen dazu, dass Bewerber eine Stelle erst gar nicht antreten können. In den Städten verschärfen zusätzlich hohe Mieten und die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt die Situation auf dem Ausbildungsmarkt und schränken somit die Bereitschaft oder Möglichkeit der Bewerber zum Umzug ein. Regionale Wirtschafts- und Beschäftigungsstrukturen stellen für Unternehmen also nicht mehr das alleinige Problem bei der Gewinnung von Auszubildenden dar.
Fachkräftemangel: Stadt oder Land – Alles eine Frage der Attraktivität?
Eine weitere Ursache für den Fachkräftemangel ist in den standortbedingten Unterschieden zwischen urbanen und ruralen Regionen zu finden. Mit konkretem Fokus auf die Personalgewinnung geht aus einer Studie der staatlichen Förderbank kfw hervor, dass zwei Drittel (65 Prozent) aller deutschen Unternehmen in den nächsten drei Jahren erhebliche Probleme bei der Rekrutierung von Fachkräften befürchten (Leifels, 2018). Hierbei ist die Kehrseite des Booms auf dem Arbeitsmarkt vor allem auf dem Land zu spüren. Bei kleinen und mittleren Betrieben mit Sitz in einem Landkreis rechnen 70 Prozent mit Schwierigkeiten, geeignete Mitarbeiter zu finden. Bei Unternehmen in kreisfreien Großstädten sind es dagegen nur 54 Prozent (Leifels, 2019).
Das Problem liegt hierbei vor allem im Standortnachteil der ländlichen Regionen. In der Provinz, in der viele Mittelständler ansässig sind, fehlen mehr Azubis als in den Städten. Dieser Trend wird von mehreren Faktoren begünstigt: Zum einen besuchen immer weniger Schüler Haupt- und Realschulen, das einstige Reservoir für den Nachwuchs im dualen System. Stattdessen strebt die Mehrheit der Jugendlichen in Richtung Abitur und somit eine schulische Laufbahn an einem Gymnasium an. Bereits 51 Prozent eines Jahrgangs schließen mit der allgemeinen Hochschulreife ab. Von dort aus zieht es die Schulabgänger vermehrt an die Hochschulen in die Städte. Durch diese Entwicklung gerät das duale System, der Grundpfeiler des wirtschaftlichen Erfolgs in Deutschland, in Gefahr.
Abb. 4: Rekrutierungsprobleme und Beschäftigung bei KMU (Quelle: KfW Research, 2019)
Der allgemeine Trend der Landflucht verstärkt diese Entwicklung. Viele Schulabgänger, unabhängig von Schulform und -abschluss, zieht es zum Leben und/oder Arbeiten in die Städte und Metropolen. Der kfw-Studie zufolge haben 41 Prozent der Mittelständler mit Sitz in einer großen kreisfreien Kommune Pendler in ihrer Belegschaft. Auf dem Land trifft dies nur auf 26 Prozent der Firmen zu. Die Bereitschaft der Arbeitnehmer, für eine Anstellung in eine Stadt zu ziehen, ist ebenfalls signifikant höher.
Der Stadt-Land-Unterschied spiegelt sich umgekehrt aber auch in den Rekrutierungsbemühungen der Unternehmen wider. Kleine und mittlere Firmen aus kreisfreien Kommunen suchen doppelt so häufig deutschlandweit und mehr als dreimal so häufig international nach Mitarbeitern als Mittelständler auf dem Land (Leifels, 2019).
Zwischenfazit
Der demographische Wandel, der Trend zum Studium und die zunehmende Landflucht können als zentrale Treiber des Fachkräftemangels ausgemacht werden. Der heraufziehende „War for Talents“ stellt dabei insbesondere mittelständische Unternehmen vor existenzielle Herausforderungen. Dabei gibt es Stellschrauben, die Unternehmen selbst bedienen können, um ihre Positionierung am Arbeitsmarkt zu verbessern Die Steigerung des Bekanntheitsgrades oder die Erhöhung der Sichtbarkeit sind beispielsweise Ansatzpunkte, um aktiv die Marktchancen im Wettbewerb zu erhöhen. Nur durch die volle Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten haben Mittelständler eine Chance, im „Wettbewerb die Standorte“ (Stadt gegen Land) bestehen zu können.
Spotlight on Südwestfalen
Der Fachkräftemangel ist über die Bundesländer hinweg, und dort auch in den verschiedenen Regionen, unterschiedlich stark ausgeprägt. Als wesentlicher Indikator für den Fachkräftemangel kann die Vakanzzeit der abgeschlossenen Stellenangebote, also der Zeitraum vom geplanten Einstellungstermin bis zur tatsächlichen Abmeldung des Stellenangebotes, herangezogen werden. Hierdurch kann der vor Ort herrschende Mangel an Arbeitskräften messbar und damit vergleichbar gemacht werden.
Im Zeitraum vom Mai 2018 bis April 2019 lag die Vakanzzeit der abgeschlossenen Stellenangebote bundesweit bei durchschnittlich 118,4 Tagen, in Nordrhein-Westfalen bei 117,1 Tagen. In Südwestfalen wurde mit 132 Tagen die höchste Vakanzzeit in Nordrhein-Westfalen registriert. Ein Grund hierfür ist die geringe Zahl an Arbeitskräften, die in NRW aufgrund der hohen Beschäftigung zur Verfügung stehen. Wie aus der Fachkräfte-Engpassanalyse NRW der BA hervorgeht, kommen auf 100 gemeldete offene Stellen für Fachkräfte lediglich 213 Arbeitslose.
Abb. 5: Berufsgruppen mit Engpässen in Südwestfalen (Quellen: Bundesagentur für Arbeit, 2019a, b)
Die Region Südwestfalen ist von einer starken mittelständischen Industrie geprägt. Im Analysebericht sind in der Liste der Engpassberufe jedoch nur wenige industrielle Berufsgruppen zu finden. Dies hat statistische Gründe, da einige dieser Berufe nur knapp die Engpassgrenzen verfehlen. Die Tendenz in diesen Berufen deutet jedoch jeweils auf eine Verschärfung der Situation hin, weshalb diese Analyse den Engpass undramatischer darstellt, als er sich tatsächlich abzeichnet. In Abbildung 5 sind die durchschnittlichen Vakanzzeiten und die jeweiligen Relationswerte der am stärksten betroffenen Berufsgruppen in Südwestfalen dargestellt.
Fazit
In der Region Südwestfalen treffen zwei Gegensätze aufeinander: Auf der einen Seite ein florierender Mittelstand mit zahlreichen Hidden Champions – auf der anderen Seite eine ländliche Region, die zunehmend mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen hat. Eine Ursache hierfür ist, dass mittelständische Unternehmen in vielen Fällen keine konkrete Personal- und Positionierungsstrategie verfolgen. Dadurch haben sie einen enormen Wettbewerbsnachteil gegenüber Großunternehmen, die bereits seit Jahren mit erheblichem finanziellen Aufwand um Fachkräfte werben.
#FORTSCHRITT unterstützt Sie an dieser Stelle gerne bei der Analyse Ihrer momentanen Situation. Gemeinsam mit Ihnen entwickelt wir dann passende Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität und bauen Ihre Arbeitgebermarke auf.
Mit einer passenden strategischen Ausrichtung können Sie dann auch von den ersten Anzeichen einer gegenläufigen Bewegung profitieren: Die ländliche Region gewinnt nämlich gerade für junge Familien wieder zunehmend an Attraktivität. Die Immobilienpreise in den Großstädten sind mittlerweile kaum noch erschwinglich, weshalb das Landleben für „Rückkehrer“ und „Neulinge“ zur immer attraktiveren Alternative wird.
Ausblick
Was Unternehmen tun können und wie sie sich der Herausforderung stellen, erfahren Sie im nächsten Beitrag der Reihe „Fach- und Führungskräftemangel in Südwestfalen: Eine Region nimmt die Herausforderung an!“.
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- Bundesagentur für Arbeit (2019a). Fachkräfte-Engpassanalyse NRW. Nürnberg, BA.
- Bundesagentur für Arbeit (2019b). Fachkräfteengpassanalyse. Nürnberg, BA.
- Bundesinstitut für Berufsbildung (2019). Die Entwicklung des Ausbildungsmarktes im Jahr 2018. Bonn, BIBB.
- Bundesministerium für Bildung und Forschung (2019). Berufsbildungsbericht 2019. Bonn, BMBF.
- Bundesverband der Deutschen Industrie (2018). Wie mutig ist der Mittelstand? Das Mittelstandspanel 2017. Berlin, BDI.
- Destatis (2019). Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung für Deutschland. Abgerufen 4. November 2019, von https://service.destatis.de/bevoelkerungspyramide/#!g
- IHK NRW. (2019). Fachkräftemonitor Nordrhein-Westfalen. Abgerufen 6. November 2019, von http://www.ihk-fachkraefte-nrw.de/fachkraeftemonitor.html#2TbCUBb
- Leifels, A. (2018). Viele Stellen, wenige Bewerber: Der Mittelstand erwartet Fachkräftemangel. Fokus Volkswirtschaft Nr. 232, KfW Research.
- Leifels, A. (2019). Weniger Fachkräfteprobleme in Groß-städten – mehr Pendler und Zugezogene. Volkswirtschaft Kompakt Nr. 181, KfW Research.
- Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (2019). Arbeitslandschaft 2025. München, vbw.
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