Autor: Bence Csizmadia (Consultant #FORTSCHRITT)
- 03.09.2020 -
Führend als Industriestandort, bescheidenes Mittelmaß in der Digitalisierung. Beim Angebot von digitalen Verwaltungsdienstleistungen zeigt Deutschland ein durchwachsenes Bild im EU-Vergleich. Sowohl in puncto Verfügbarkeit als auch im Hinblick auf Nutzerfreundlichkeit ist der Gang zum „digitalen Amt“ nach wie vor eine regelrechte Geduldsprobe für den Bundesbürger. Umfassende Kraftanstrengungen sind nötig, um Deutschlands Behörden tatsächlich fit für die Zukunft zu machen und Verwaltungseffizienz „Made in Germany“ wieder Realität werden zu lassen.
Online im Privaten, Offline im Behördlichen
In allen Bereichen unseres Alltagslebens hält die Digitalisierung Einzug. Sei es im Bereich der Mobilität wie (Teil-)Autonomes Fahren, im Gesundheitswesen (z.B. Telemedizin) oder im Bereich Finance (z.B. Direct-Banking): Der Trend zum Digitalen ist überall spürbar. Wirklich überall? Wenn man einen Blick in die Amtsstuben der öffentlichen Verwaltung in Deutschland wirft, dann hat man nicht selten das Gefühl, in die Vergangenheit zu reisen. Während man heutzutage selbst eine Rechtsschutzversicherung binnen weniger Minuten mit dem Smartphone abschließen kann, ist die Erledigung von behördlichen Anliegen sprichwörtlich eine physische Herausforderung. Mühselige und zeitraubende Wartezeiten vor Ort sowie das oftmalige Erfordernis, wie bereits zu Zeiten unserer Großeltern, Anträge persönlich einreichen zu müssen, machen den Behördengang zu einer ungeliebten Notwendigkeit. Von der beschleunigten Digitalisierung, „als Herzensangelegenheit“ (Heise.de 30.11.2019) der Bundesregierung, wie sie etwa jüngst Bundeskanzlerin Angela Merkel proklamierte, ist auf Bundes-, Landes- aber insbesondere auf Kommunalebene bisher wenig zu spüren. Gewiss, die Mühlen der Verwaltung mahlen stets langsamer als die der Wirtschaft. Die deutsche Verwaltung zeigt jedoch auch im direkten Vergleich mit den EU-Nachbarstaaten ein sehr durchwachsenes Bild in puncto Digitalisierung.
Als Industriestandort topp, in der digitalen Verwaltung flopp
Als Dienstleister am Bürger stehen Behörden unter anderem in der Pflicht, Verwaltungsakte einfach, transparent und schnell durchzuführen. Ziel ist es, den sogenannten „bürokratischen Aufwand“ für die Bürger zu reduzieren. Neben der Vereinfachung der Verwaltungsprozesse im Sinne der Nutzerfreundlichkeit hat eine effiziente digitale Verwaltung viele andere Vorteile für den Bürger. Im Rahmen ihres jährlichen Benchmarkings identifiziert die Europäische Union vier Teilbereiche, die als Bewertungskriterien herangezogen werden, um den Digitalisierungsgrad der einzelnen Staatsverwaltungen zu messen.
- „Nutzerzentrierung“ als Gradmesser dafür, inwieweit Verwaltungsdienstleistungen online angeboten werden, diese einfach und verständlich für den Nutzer sind und im besten Fall auch mit mobilen Endgeräten genutzt werden können.
- „Transparenz“ als Indikator dafür, inwieweit die Online-Services im Hinblick auf den Verwaltungsprozess, die Verteilung der Zuständigkeiten sowie die eigentliche Performanz der Verwaltung übersichtlich und durchschaubar sind.
- „Grenzüberschreitende Mobilität“ als Gradmesser dafür, inwieweit die Dienstleistungen auch für Bürger anderer EU-Staaten zur Verfügung stehen (z.B. im Hinblick auf die gewerbliche Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sowie private Personenfreizügigkeit).
- „Zentraler Ermöglicher“ als Indikator dafür, inwieweit technische und organisatorische Ausgangsbedingungen gegeben sind, um E-Government Angebote überhaupt nutzen zu können (z.B. durch elektronische Identifikationsmöglichkeiten).
Anhand dieser Indikatoren untersuchte die EU-Kommission zentrale Lebensereignisse, wie Unternehmensgründung, Familiengründung, Arbeitssuche, Studium, gewerbliche Aktivitäten, Umzug, Kfz-Zulassung und Bagatellverfahren. Dabei ermittelte sie, wie gut die digitalen Verwaltungsdienstleistungen der jeweiligen Länder abschneiden (European Commission 2018, S. 18-19).
Im direkten Vergleich zeigt sich, dass Deutschland bereichsübergreifend bestenfalls nur eine Mittelfeldposition einnimmt. Im Bereich der Automatisierung von Online-Dienstleistungen findet sich die deutsche Verwaltung sogar im hinteren Drittel wieder. Insgesamt wird sie von der EU-Kommission im Hinblick auf den Digitalisierungsgrad der Strukturen als wenig konsolidiert und eingeschränkt penetriert eingestuft. (Ebd., S. 48). Das bedeutet nicht weniger, als dass die Online-Verwaltungsservice unzufriedenstellend durchgängig sind und bei der Nutzung durch den Bürger zahlreiche Medienbrüche aufweisen. Eine unkomplizierte Nutzung durch den Bürger ist somit kaum gegeben.
Abb. 1: Die E-Governance Performanz Deutschlands im EU-Vergleich (Quelle: European Commission (2018): eGovernment Benchmark 2018. Securing eGovernment for all.)
Die erschwerten Nutzungsbedingungen schlagen sich auch in einer eingeschränkten Akzeptanz der Online-Verwaltungsdienstleistungen in Deutschland nieder. Im direkten Vergleich innerhalb der Gruppe der sogenannten DACH-Staaten (Deutschland, Österreich und Schweiz) bildet Deutschland zum Teil das abgeschlagene Schlusslicht. Erschwerend kommt hinzu, dass die bereits geringe E-Government Nutzung durch den Bürger weiter abnimmt. In einer repräsentativen Umfrage des E-Government Monitors zeigt sich, dass zwischen 2012 und 2018 der prozentuale Anteil an Nutzern von behördlichen Diensten sich weiter (von 45% auf 40%) verringerte. Obzwar sich der Wert auch in der Schweiz verschlechterte (von 58% auf %), konnte etwa Österreich den Anteil an Nutzern von E-Government Services von 67% auf mehr als 74% steigern (Fortiss/Initiative D21 2018, S. 8).
Abb. 2: Durchschnittliche Nutzung von E-Government Services durch den Bürger in Prozent
Die mangelnde Bekanntheit der Online-Dienstleistungen ist nach wie vor der ausschlaggebendste Faktor für die geringe Nutzungsbereitschaft bei den Bürgern. Weiterhin bilden die bereits oben erwähnte mangelhafte Durchgängigkeit sowie die undurchschaubar anmutende Struktur der Online-Dienste weitere wesentliche Nutzungshemmnisse (Ebd., S. 18). Ein zusätzliches Problem stellt der digitale Identifikationsprozess (in Deutschland der Personalausweis mit eID) zur Nutzung der Online-Services dar. Dieser wird von den Befragten in Deutschland als zu komplex und zu wenig nutzerfreundlich bewertet. Zum Vergleich: In Österreich erfreut sich die Nutzung der sogenannten Handy-Signatur als Identifikationstool gegenüber den Behörden einer inzwischen ähnlichen Akzeptanz, wie gängige Online-Identifikationsverfahren im privatwirtschaftlichen Umfeld (Fortiss/Initiative D21 2018, S. 25).
„Stets bemüht“ und doch mit eingeschränktem Erfolg.
Vom Gesetzgeber wurden in den vergangenen Jahren verschiedene nennenswerte Maßnahmenpakete in die Wege geleitet. Das 2017 vom Bundestag verabschiedete Onlinezugangsgesetz verpflichtet Bund, Länder und Kommunen beispielsweise, dass sie spätestens bis 2022 ihre Verwaltungsleistungen in durchgängig elektronischer Form anbieten müssen. Hierfür ist geplant, dass Verwaltungsportale auf allen drei administrativen Ebenen auf- und ausgebaut und zu Portalverbünden zusammengeschlossen werden. Damit soll eine bestmögliche Nutzerfreundlichkeit für die Wirtschaft und Privatpersonen gewährleistet werden. Zwei Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes zeigt sich jedoch, dass der Weg hin zu einer digitalisierten Verwaltung noch ein langer und mühsamer Weg sein wird. In einer repräsentativen Untersuchung von 300 Kommunen durch das Fraunhofer Institut ÖFIT im März 2019 zeigte sich, dass 40% der Verwaltungskörperschaften bisher keine der im OZG geplanten fünf Verwaltungsdienstleistungen online anbietet (eGovernment Computing 11.03.2019). Das durch den Bundestag bereits im Jahr 2013 verabschiedete E-Government Gesetz (EGoVG) zeigt ein ähnliches Bild. So sieht das Gesetz unter anderem vor, dass alle Bundesministerien bis zum Stichtag des 01. Januar 2020 ihre Verwaltungsakte vollumfänglich digitalisieren müssen.
Erneut wird deutlich: Die hochgesteckten Ziele werden bei der praktischen Durchsetzung von der tristen Realität eingeholt. In einer Umfrage der 14 Bundesministerien und dem Bundeskanzleramt Anfang des Jahres 2019 mussten die Behörden sogar zugeben, dass nicht einmal die Hälfte den Übergang von Papier hin zu eAkten bis zum Stichtag schaffen wird (eGovernment Computing 29.03.2019).
Während die Digitalisierungserfolge auf Bundesebene folglich als insgesamt sehr bescheiden bewertet werden müssen, gibt es auch Lichtblicke in Sachen digitaler Vernetzung der Behörden. Zwei Projekte sind hier hervorzuheben: Das erste Beispiel ist die sogenannte „BayernBox“, eine Datenaustauschplattform des Freistaates Bayern, auf der Kommunen, Landkreise und Bezirke kostenfrei den Austausch von relevanten Informationen bewerkstelligen können (Com-Magazin.de 29.03.2019). Die Landesregierung in Baden-Württemberg hat mit dem sogenannten „E-Government-Pakt“ ebenfalls eine massive Hilfestellung für die Kommunen bereitgestellt. Durch den Pakt sind die Verwaltungskörperschaften befähigt, kostenfrei auf ein Online-Landesportal zuzugreifen, wo sie standardisierte digitale Verwaltungsdienstleistungen übernehmen und dem Bürger und Unternehmen zur Nutzung bereitstellen können. Während dadurch die Nutzerfreundlichkeit selbst bei den kleinsten Behördenstrukturen signifikant gesteigert wird, vermeiden die Behörden gleichzeitig die Anschaffung eigener kostspieliger IT-Infrastruktur, die womöglich im Zweifel nicht die notwendigen digitalen Schnittstellen zu anderen Körperschaften beinhalten (Digital-BW.de 25.02.2019).
Die behördliche Zukunft ist digital
Die Zukunft der öffentlichen Verwaltung liegt in der Digitalisierung. Zu wenigen Themen herrscht in der Politik eine solche Einigkeit wie zu dieser These. Durch digitale Verwaltungsdienstleistungen kann man nicht nur die Servicequalität in vielerlei Hinsicht steigern, sondern es dient auch dazu, dass der enorme Verwaltungsaufwand signifikant verschlankt werden kann. Laut einem Gutachten vom Kompetenzzentrum Öffentliche Informationstechnologie (ÖFIT), angesiedelt am Fraunhofer Institut, sind massive Kostenersparnisse bei den meisten Verwaltungsverfahren möglich. Sowohl für Bund und Länder aber insbesondere auch für Kommunen, die einem zunehmenden Haushaltsdruck entgegenstehen, bietet die Digitalisierung daher die einzigartige Möglichkeit, die ersehnte massive Senkung der Verwaltungsausgaben, teilweise bis zu drei Viertel der ursprünglichen Kosten, zu bewerkstelligen.
Abb. 3: Einsparpotenzial bei ausgewählten Verwaltungsverfahren (Quelle: ÖFIT (2015): E-Government in Deutschland. Vom Abstieg zum Aufstieg.)
Während die öffentliche Hand einerseits dazu befähigt wird, umfassend Kosten zu sparen, bietet die Digitalisierung gleichzeitig auch die Möglichkeit, eine Antwort auf den sich zuspitzenden Fachkräftemangel zu finden. Insbesondere die Kommunalverwaltungen, welche mit einer massiv überalterten Personalstruktur und fehlenden Nachwuchs zu kämpfen haben (Heise 9.11.2019), können durch schlankere Verwaltungsprozesse ihrem behördlichen Dienstleistungsauftrag gegenüber dem Bürger weiterhin serviceorientiert Rechnung tragen.
Der Schritt in die digitale Verwaltung erfordert jedoch erhebliche finanzielle Investitionen sowie ganzheitliche, nachhaltige, messbare und vor allem abgestimmte Reformmaßnahmen. Dabei muss man jedoch das Rad nicht immer neu erfinden. Andere EU-Mitgliedstaaten wie Estland zeigen als digitaler Vorreiter, wie man als Staat in wenigen Jahren die Verwaltung nachhaltig digitalisieren und damit auch verschlanken kann. Damit die deutsche Behördenlandschaft nicht vollkommen den Anschluss in Sachen Digitalisierung verliert, ist es jedoch wichtig, dass man mutig den Schritt in die digitale Zukunft macht. Sind Sie bereit, als öffentliche Hand diesen Schritt zu wagen? Das müssen Sie nicht allein machen. Wir von #FORTSCHRITT stehen für Sie mit einem ganzheitlichen Beratungsansatz im Bereich der Public Sector Beratung zur Verfügung. Mit jahrelanger Erfahrung im Bereich des von IT-Projekten sowie umfassender Fachexpertise im Bereich EU-weiter Staats- und Verwaltungswissenschaften werden wir zusammen mit Ihnen den Weg in eine digitale Zukunft.
-
- Com-Magazin.de (29.03.2019). BayernBox. Bayerische Kommunalverwaltung erhält Open-Source-Cloud.
- Verfügbar bei: https://www.com-magazin.de/news/cloud/bayerische-kommunalverwaltung-erhaelt-open-source-cloud-1696426.html [zuletzt geprüft am 20.12.2019]
- Digital-BW.de (25.02.2019). E-Government Pakt in Stuttgart unterzeichnet.
- Verfügbar bei: https://www.digital-bw.de/-/20190225_news3_bundesweiter_e-government-pakt [zuletzt geprüft am 20.12.2019]
- eGovernment Computing (11.03.2019). Deutschland-Index der Digitalisierung 2019. Noch viel zu tun bei der OZG-Umsetzung.
- Verfügbar bei: https://www.egovernment-computing.de/noch-viel-zu-tun-bei-der-ozg-umsetzung-a-808193/ [zuletzt geprüft am 20.12.2019]
- eGovernment Computing (29.03.2019). Eine Frage der Rechtstreue.
- Verfügbar bei: https://www.egovernment-computing.de/eine-frage-der-rechtstreue-a-814902/ [zuletzt geprüft am 20.12.2019]
- European Commission (2018). eGovernment Benchmark 2018. Securing eGovernment for all. Brüssel.
- Fortiss/Initiative D21 (2018). eGovernment Monitor 2018. München/Berlin.
- Handelsblatt.de (04.07.2017). Digitale Heimat gestresster Unternehmen https://www.handelsblatt.com/politik/international/estland-digitale-heimat-gestresster-unternehmen/20014222.html [zuletzt geprüft am 16.01.2020]
- Heise.de (09.11.2019). Fachkräftemangel beim Staat: Sachsens Kommunen suchen dringend neue Mitarbeiter.
- Verfügbar bei: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Fachkraeftemangel-beim-Staat-Sachsens-Kommunen-suchen-dringend-neue-Mitarbeiter-4583322.html) [zuletzt geprüft am 20.12.2019].
- Heise.de (30.11.2019). Merkel: Rasche Digitalisierung als „Herzensangelegenheit“
- Verfügbar bei: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Merkel-Digitalisierung-als-Herzensangelegenheit-4600095.html [zuletzt geprüft am 20.12.2019]
- ÖFIT (2015). E-Government in Deutschland. Vom Abstieg zum Aufstieg. Berlin.
-