Shopping vs. Beschaffung

Digitalisierung des Point of Sale

Autor: Matthias Achim Teichert (Partner #FORTSCHRITT)
- 12.02.2021 -

Der Einzelhandel erlebt durch Corona einen starken Wandel. Dieser ist geprägt durch die Digitalisierung von Lieferketten, Geldflüsse, Kundenansprache und des Point of Sale. Vor Corona war dieser Wandel bereits sichtbar und hat in den letzten Monaten an Dynamik gewonnen. Im Resultat verändert sich nicht nur der Einzelhandel, sondern der gesamte Point of Sale digitalisiert sich!

Corona motiviert Kunden als auch Anbieter, bestehende Herausforderungen mit neuen Lösungen anzugehen. Das Ausprobieren von neuen Lösungen beschleunigt somit den Wandel im Handel und beim Point of Sale. Lieferdienste und Online-Händler sind die klar erkennbaren Gewinner der Corona-Pandemie. Der Prozess umfangreicher Veränderungen im Einzelhandel vollzieht sich jedoch bereits seit Jahren. Mittels der digitalen Möglichkeiten entwickelte sich eine Differenzierung zwischen der Beschaffung und dem reinen Shopping. Beim „Einkauf zur Beschaffung“ werden Leistungen in Form von Verbrauchs-, Verschleiß- und anderen Konsumgütern, die im alltäglichen Leben benötigt werden, gekauft. Die Beschaffung ist meist mehr Pflicht als Lust. Nicht so beim Shopping: Hier liegt der Schwerpunkt nicht auf der profanen Beschaffung von alltäglichen Produkten, sondern auf dem Eventcharakter. Der potenzielle Kunde möchte an den Geschäften entlangflanieren und sich Informationen einholen, um Kaufentscheidungen treffen zu können. Showrooms1 und Flagship-Stores bedienen dieses Bedürfnis der Konsumenten und spiegeln diese Entwicklung.

 Shopping Beschaffung Want Need

Abb. 1: Shopping vs. Beschaffung, Quelle: eigene Darstellung

Status des Handels vor Corona

Im Einzelhandel hatte die Fläche seit Jahren Probleme und mit relativ schwachen Margen zu kämpfen. Der Einzelhandel versuchte, die geringen Margen mit einer Konsolidierung der Anbieter, Skalierung und hybriden „online-offline-Strategien“ auszugleichen. In den städtischen 1A-Lagen schuf die Konsolidierung eine Homogenisierung der Anbieter, sodass sich das Angebot des Einzelhandels in den Innenstädten heutzutage unabhängig vom Ort sehr gleicht. Dieser Strukturwandel im Einzelhandel und die Homogenisierung wird durch die Verbreitung von Systemgastro-Ketten (Link zu unserem Gastro-Blog) noch gesteigert.

Zum anderen etabliert sich mit dem Event-Charakter in den Showrooms und Flagship-Stores eine veränderte Einkaufskultur: Kunden werden interaktiver angesprochen, um hierdurch neue und weitere Kaufimpulse zu generieren.

Diese Entwicklung macht ein Agieren via Multi- bzw. Omnikanal notwendig, um die Konsumenten individuell zu erreichen d.h. die passenden Konsumgüter anbieten zu können. Denn eines ist sicher und hat sich nicht verändert: Die meisten Menschen sind komfortfixiert! Für den gewünschten Komfort und einen gewissen Mehrwert sind die meisten Menschen auch bereit, etwas zu opfern bzw. eine Mehrleistung zu bezahlen.

Status des Einzelhandels nach der ersten Corona-Welle

Die Corona-Krise führte von der bestehenden Renditenkrise des stationären Einzelhandels hin zu einer Liquiditätskrise. Von dieser Liquiditätskrise sind seit März 2020 einige Unternehmen und Geschäfte betroffen. Zum Beispiel werden die Geschäfte von RunnersPoint2 Appelrath Cüpper, Hallhuber, Sinn, Esprit, Tom Tailor, Escada, McTrek, GaleriaKarstadt, Adler schließen. Hierzu stehen die Erfolge der online-orientierten Einzelhandelsunternehmen, wie z.B. Amazon, AboutYou, Zalando, Home24, im Kontrast. Lesen Sie hier mehr zur Entwicklung in den Innenstädten.

Sechs Prozessschritte beim Einkaufen

Vereinfacht stellt sich der Prozess beim „traditionellen Einkaufen“ wie folgt dar:

  1. Zu Beginn besteht beim Kunden ein Impuls zum Kaufen aufgrund von Bedarf oder Wunsch.
  2. Hieraus entwickelt sich in einem zweiten Schritt eine Einkaufsliste.
  3. Der Kunde wählt das passende Geschäft aus, um diesen Bedarf oder Wunsch zu befriedigen.
  4. Der Kunde entscheidet sich für ein entsprechendes Produkt bzw. die entsprechende Marke, um seinen Bedarf bzw. Wunsch zu bedienen.
  5. Es kommt zum Kauf des Produktes.
  6. Anschließend kommt es zum Transport der erworbenen Produkte zum Zielort.

 Prozess Impuls Liste Wahl Marke Kauf Transport

Abb. 2: Sechs Prozessschritte beim Einkaufen, Quelle: eigene Darstellung

Jeder dieser sechs Schritte kann ebenfalls digital umgesetzt werden. In den letzten Jahren begann bereits beispielsweise mit Lieferdiensten oder Online- anstatt Offlinehandel die digitale Disruption.

Digitale Veränderung im Retail

Anhand der Prozessschritte beim Einkauf sollen digitale Optionen und Veränderungen des Point of Sale im Folgenden skizziert werden. Die neuen technischen Optionen sind Enabler für die Entwicklung. Mit attraktiven und pragmatischen Use Cases wird diese traditionelle Prozesskette im Einzelhandel disruptiert. Mit der Digitalisierung der Prozessketten im Einzelhandel werden sich die Geldströme und das Kundenverhalten verändern. Diese Verhaltensänderungen werden als Hebel der Entwicklung dienen und diese beschleunigen, wie sich im Verlauf des Jahres 2021 gezeigt hat.

Digitale Veränderung im Transport

Beim Transport sind z.B. zwei Veränderung wahrscheinlich:

Erstens erfolgt eine konsequente Optimierung der Lieferdienste mithilfe der Kundenwünsche.

Zweitens ist der Lieferdienst eine Möglichkeit, Kunden lästige aber notwendige Tätigkeiten der Beschaffung abzunehmen. Der Gewinn an Komfort bzw. Mehrwert für den Kunden durch die Auslieferung bewirkt eine Veränderung des Kaufverhaltens. Während der anhaltenden Corona-Krise hatten und haben Anbieter mit einem eigenen Lieferdienst erkennbare wirtschaftliche Vorteile gegenüber Anbieter ohne Lieferdienst. Aus diesem Grund konnten z.B. Bofrost3, Rewe4, Flaschenpost oder Domino Pizza ihre jeweilige Marktposition ausbauen. Zum anderen wird bei den Kunden durch die Annehmlichkeiten des Lieferns ein positives Bild von dem Unternehmen erzeugt, was zum erneuten Einkauf beim gleichen Anbieter motiviert.

Digitale Veränderung beim Kauf

Beim Kauf sind z.B. im Bereich des Zahlens und der Steuerung der Kunden im Geschäft zahlreiche Veränderungen erkennbar. Seit Jahren ist der Rückgang der Bezahlung mit Bargeld messbar. Jedoch wird auch die Kartenzahlung lediglich eine Etappe hin zu einer kontakt- und kassenlosen Zahlungsabwicklung sein. In Skandinavien und England sind Bezahlvorgänge via Handy und passender App bereits heute üblich. Die Selbst-Scan-Kassen, wie es sie seit Jahren bei Ikea oder auch beim Supermarkt Tesco in England gibt, sind Vorboten dieser Entwicklung. Denn das Bezahlen ist kein Teil des Einkaufens und aus diesem Grund muss die Bezahltransaktion schnell umgesetzt werden. Amazon testet bereits seit mehreren Jahren ein automatisches Bezahlsystem, bei welchem der Prozess mit Verlassen des Geschäftes ohne Interaktion mit den Kunden abläuft. Da die Kaufabwicklung eher eine Notwendigkeit als ein Erlebnis für die Kunden ist, sollte diese unbedingt optimiert, automatisiert und beschleunigt werden. Corona hat diesen Wandel beim Kauf lediglich vorangetrieben5.

Digitale Veränderungen bei der Marke

Die Marken und die dahinterstehenden Produkte werden in Zukunft eine noch relevantere Rolle spielen als bereits heute. Die Marke und das Produkt müssen von den Kunden jedoch wahrgenommen werden, d.h. sie müssen differenzierbar von anderen Produkten bzw. Marken sein. Aus diesem Grund baut der LEH zum einen die jeweiligen Eigenmarken stärker aus. Zum anderen wird gezielt versucht, die Kunden durch Markenbildung emotional zu binden. Denn ohne eine starke Marke wird eine Kundenbindung im klassischen B2C nicht möglich sein.

Für die Zulieferer oder Technik-Lieferanten wird es zukünftig noch schwerer sein, vom Kunden erkannt zu werden. Zum Beispiel erkennen beim ÖPNV die wenigsten Kunden, von welchem OEM der Zug oder Bus produziert worden ist. Für den Kunden ist die Wahl der Klasse und des Providers relevanter. In der Zukunft wird es für die Markenbildung zwingend erforderlich sein, einen Multi-Channel-Ansatz zu nutzen. Denn nur durch das Bespielen diverser Kanäle wird man Marken etablieren können bzw. die bestehende Marken- und Marktposition behalten können. Hierfür wird SEO und das Verständnis über die Algorithmen des jeweiligen Social Media Netzwerkes wichtiger werden. Denn guter Content allein wird nicht reichen!

Im stationären Einzelhandel werden die Platzierung und die Präsentation der Marke im Geschäft (noch) wichtiger. Der Kunde soll durch eine aktive Führung durch das Geschäft weitere Kaufimpulse erhalten und somit mehr Umsatz erzeugen.

Digitale Veränderungen bei der Wahl des Geschäfts und der Anbieter

Bereits vor der Corona-Pandemie waren Veränderungen im stationären Einzelhandel sichtbar. Warenhäuser hatten bereits in den 1980er Probleme, sodass das Ende von Karstadt, Kaufhof, Hertie, Horten, Tom Tailor oder Sinn Leffers de facto vorhersehbar war. Anhand der Situation in den Läden zeigt sich am besten, dass die Kunden beim Einkaufen zwischen Shopping und Beschaffung differenzieren und entsprechend die passenden Geschäfte wählen.

Zum einen sind die Showroom-Läden in den 1A-Lagen, die durch die erfolgreiche Kundenbindung querfinanziert werden können, erfolgreich, da sie den Wunsch nach Shopping bedienen. Sehr erfolgreich setzen dies Big Brands, wie zum Beispiel Apple, Louis Vuitton, Adidas oder Nike um.

Zum anderen expandierten die Discounter und gestalteten die notwendige Beschaffung für die Kunden möglichst effizient. Die Discounter haben durch fortwährende Tiefpreise, reduziertes Sortiment, schlichtes Konzept, spartanisches Interieur und Fixierung auf Masse den LEH grundlegend verändert.

Des Weiteren verändert der Wechsel vieler Kunden vom stationären zum Online-Händlern den Einzelhandel umfangreich. Denn die Online-Option ist bei vielen Bedarfen und Wünschen schneller, flexibler und bequemer für die Kunden. Der Erfolg des Onlinehandels der letzten Jahre hat sich mit Corona nochmals verstärkt und gezeigt, dass dieser ohne eine digitale Ansprache und gelungene Kombination von digitaler und stationärer Platzierung schwerlich möglich ist. Die digitalen Defizite vieler Einzelhändler spiegeln sich in deren stetigem Abstieg und Pleitewellen in den letzten Jahren6.

Digitale Veränderungen bei der Einkaufliste

Die Einkaufsliste bzw. die Erstellung der Einkaufsliste werden sich grundlegend wandeln. Dieser Wandel wird in der ersten Stufe auf Apps basierenden Lösungen, wie z.B. BRING! oder PON erkennbar sein. Mit diesen Apps ist es nicht nur möglich, seine Bedarfe digital aufzulisten und mit weiteren Personen zu teilen, sondern der Nutzer wird sogar via Push benachrichtigt, sobald er sich in der Nähe entsprechender Geschäfte aufhält, welche Produkte laut Einkaufliste noch besorgt werden müssten.

Die zweite Stufe dieses digitalen Wandels wird die Automatisierung und Verselbstständigung bei der Erstellung der Einkaufslisten sein. Basierend auf Sensorik und passender Algorithmen generiert sich die Liste selbstständig. Nach vorab selbst definierten Schwellenwerten für den eigenen Bestand von Waren, werden die Order zum Kauf auslösen und die benötigten Produkte bereitgestellt.

Zudem besteht auch seitens der Produzenten und Unternehmen ein hohes Interesse an den Informationen und Daten von diesen Listen, da diese viel über die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kunden aussagen. Für diese Daten werden die Unternehmen Gutscheine, Bonuspunkte u.a. wie z.B. bei PayBack anbieten müssen.

Digitale Veränderungen beim Impuls

Der Impuls zum Kaufen kann aus der Notwendigkeit oder dem Moment der Lust auf etwas entstehen. Bei Konsumgütern, die kontinuierlich verbraucht oder benötigt werden, ist das Beschaffen weniger ein Akt des Shoppings und somit für viele Kunden eher eine Last als eine Lust. Aus diesem Grund wird mit Hilfe unterschiedlicher Konzepte, wie beispielsweise Abo-Modelle für Güter oder digitale Hilfsmittel (wie Amazon DRS) versucht, dem Kunden die „lästige Beschaffung“ abzunehmen. Die notwendigen Produkte liefert der Anbieter kontinuierlich nach, indem das System den Verbrauch des Kunden kontrolliert und eigenständig nachordert. In beiden Optionen wird versucht, die Impulse zu kanalisieren und proaktiv den Kundenwunsch zu bedienen. Durch diese Systeme soll die reguläre Kauf-Prozesskette gelenkt, konditioniert und beschleunigt werden.

Direct to Consumer – D2C

Die Beschleunigung der Prozesskette wird als Direct to Consumer bezeichnet. Die folgenden Prozess-Punkte werden vom direkten Point of Sale übersprungen und eingebunden. Die Anbieter mit Kundenkontakt besitzen beim D2C eine deutlich größere Marktmacht im Bereich des beschaffenden Einkaufs. Die bestehende Kundenbindung mittels Direct to Consumer zu bespielen, ermöglicht Marken als auch Anbieter, sich von den dominanten Plattformen und Ketten zu emanzipieren. Hier wären zum Beispiel gute Optionen, die Kunden via Pre-Booking oder mit einem Abo Modell an sich zu binden.

Im Bereich der spontanen Kaufimpulse und somit mehr beim Shopping, entsteht mit den digitalen Assistenzsystemen, wie z.B. Alexa, Siri, Cortana, usw. eine neue Technik. Mit dieser Technik der Assistenzsysteme werden die Kunden aktiv gesammelt und gelenkt, womit die Impulse zum Kaufen abgefangen werden können. Damit entsteht eine vorselektierte Auswahl an Geschäften, Produkten und Marken.

 digitaler Prozess Einkaufen

Abb. 3: Digitaler Prozess, Quelle: eigene Darstellung

Fazit und Handlungsempfehlungen

Smart Home, Assistenzdienste, digitale Einkauflisten, Direct to Consumer und Lieferdienste werden in der Zukunft eine gewichtige Rolle im Einzelhandel und bei der Gewinnung von Kunden spielen. Die Digitalisierung ist hier kein Selbstzweck, sondern die Basis, den Point of Sale zu bestimmen, damit im zweiten Schritt die gewonnenen Kunden kapitalisieren zu können. Jedoch ist die Digitalisierung des Point of Sale nicht reduziert auf den Einzelhandel! Auch viele andere Branchen erleben dies momentan, leidlich ist dieser Wandel beim Einzelhandel am plakativsten. Jedoch ist es mit modernen Ansätzen möglich, in diesem Wandel erfolgreich zu sein und das eigene Potenzial voll auszuschöpfen.

#FORTSCHRITT kann hier helfen, die eigene Zukunft erfolgreich und proaktiv zu gestalten, damit der digitale Point of Sale in Ihren Händen ist.

Achim Teichert
Co-Founder und Geschäftsführer der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT.

Matthias Achim Teichert ist Co-Founder und Geschäftsführer der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT. Er ist Experte für Company Building und Start-up-Strategien. In diesem Zusammenhang liegen seine Schwerpunkte auf der erfolgreichen Skalierung von Geschäftsmodellen, Go-to-Market-Strategien sowie Marktanalysen. Des Weiteren ist er als Dozent an der WWU Münster für Polit-Ökonomie tätig.

Achim Teichert